Filmemacher Jürgen Eichinger hat sich verliebt. In die Isar, die noch wild dahinfließt. Er kämpft für 15 Kilometer Fluss.
I von Katharina Bromberger
Den Ausflug machte Filmemacher Jürgen Eichinger (58) nur zufällig. Aus Langeweile. Da – hat er sich verliebt. In die Isar, wo sie noch wild dahinfließt. Über diese Region muss er einen Film drehen, nahm er sich vor, setzte es um. Und wurde zum Kämpfer für 15 Kilometer Isar. Im Interview erzählt der Wahl-Münchner, warum sein erster Beitrag über den letzten Wildfluss anders wurde als geplant, was er bewegt hat und warum ein zweiter folgen wird. Folgen muss.
Herr Eichinger, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?
(lacht) Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. Und es ist schon was dran. Im Isartal hab ich sie erlebt. Vor sieben Jahren.
Wie kam’s?
Wir wollten auf der Zugspitze drehen für die Sendereihe Wildes Deutschland. Aber es war mal wieder bewölkt. Wir mussten warten. Und bevor ich rumsitze, dachte ich, ich schau‘ mir mal die Gegend an. So bin ich 2013 zum ersten Mal nach Mittenwald, Wallgau, Krün gekommen. Da gibt’s ja Fleckerl... Da stehst Du und denkst nur: Das ist der Hammer. Ich war wirklich gleich verliebt.
Gab’s eine besonders schöne Ecke?
Würd‘ ich ein Buch schreiben über 100 Plätze, die man in Deutschland gesehen haben muss – aus dem Isartal wären gleich ein paar dabei. Es war alles so wunderbar. Bayerisch-Kanada. Und dann habe ich mich für meinen Film genauer damit befasst. Und habe gesehen: Das ist ja eigentlich alles traurig.
Weil das letzte Stück Wildfluss bedroht ist.
Ja, es stirbt. Wenn man so weitermacht, wird es verschwinden. Traurig ist ja schon, dass wir nur noch von etwa 15 Kilometern Wildfluss reden. Karge Reste. So weit hat der Mensch es gebracht.
Diese kargen Reste aber sind etwas ganz Besonderes. Das zeigt der erste Teil Ihres Films. Allein, wie die Nebelschwaden da über die Isar ziehen…
Da hab‘ ich sauber geschwitzt. Von Platz zu Platz bin ich da in der Früh gehetzt, hab‘ die Sekunden gezählt, bis die Nebelaufnahmen im Kasten waren, weil ich ja wusste: Ich muss weiter. Denn vielleicht gibt es diese Stimmung so nicht nochmal. Man meint immer, Naturfilmer sitzen nur rum – aber das ist eine Illusion.
Aber Sie warten doch auch viel, oder?
Freilich. Nehmen wir die Flussregenpfeifer. Diese vier Zentimeter großen Federbällchen. Bis man die mal entdeckt… Da steht man dann stundenlang in der brütend heißen Steinwüste. Oder die jagenden Gänsesäger. Bis ich die Szenen erwischt hab, bin ich fünf Tage am Krüner Stausee gestanden.
Für etwa eine Minute.
In den ganzen Film habe ich über zwei Jahre investiert. Es stecken 130 Drehtage drin. Für 45 Minuten. Zum Vergleich: Ein 90-Minuten-Tatort ist nach 20 Tagen fertig. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Allein wegen der Reaktionen.
Wie sind die ausgefallen?
Ich messe den Erfolg nicht an Preisen und Auszeichnungen. Entscheidend für mich sind zum einen die Einschaltquoten, damit der Film und auch seine Botschaft möglichst viele Menschen erreicht. Und wenn dann noch Lob aus Fachkreisen kommt und am besten auch von Einheimischen, die sagen, dass sie selbst noch etwas über ihre Heimat gelernt haben – dann hab‘ ich für mich alles richtig gemacht.
Das alles war bei diesem Film der Fall?
Ja. Und ganz wichtig: Wir haben wachgerüttelt. So viele haben gesagt, sie hätten das Problem gar nicht gekannt. Wir haben erreicht, dass sich die Leute damit auseinandersetzen. Deshalb war uns klar: Wenn wir jetzt medial etwas bewirken können, müssen wir Gas geben – und einen zweiten Film folgen lassen (er wurde mittlerweile ausgestrahlt, Anm. d. Red. - siehe Kasten unten).
Wird es wieder ein Naturfilm?
Es wird ein Natur- und Menschenfilm. Er setzt dort an, wo der erste aufhört: beim Sterben des Wildflusses. Natürlich gibt es Naturaufnahmen. Doch es kommen viele Menschen zu Wort. Damit man sieht, wie viele Interessen da aufeinandertreffen. Wir gehen auch näher auf die Probleme ein, die das Krüner Wehr und das Hochwassermanagement schaffen.
Sie sprechen von der Kiesablagerung?
Das Restwasser, das nicht an den Walchensee und das dortige Kraftwerk geleitet wird, hat zu wenig Kraft, um Geröll und Kies weiterzuschieben. Nur bei Hochwasser, wenn man das Wehr öffnet, zeigt sie ihr eigentliches Gesicht, entfaltet ihre ganze Energie, schiebt das Gestein ein paar Kilometer weiter. Dort bleibt es liegen, sobald die Schleuse wieder geschlossen wird, und muss jedes Mal für zigtausende Euro aufwändig ausgebaggert werden. Das ist aber nur eine Baustelle.
Was ist die zweite?
Ein großes Problem sind die Weiden. Schlamm und Schlick transportiert die Isar, dafür reicht ihre Kraft. Die Weiden findet damit einen optimalen Nähboden. So wächst die Isar auf ihrem wilden Teil ab Krün bis Vorderriß an der Rißbachmündung immer weiter zu. Das bedeutet das Ende für den Wildfluss. Auch viele Vogelarten verlieren ihren Lebensraum.
Sie haben die vielen verschiedenen Interessengruppen angesprochen. Stellen Sie sich in Ihrem Film auf eine Seite?
Ja, auf die Seite der Natur. Wir halten ein Plädoyer für die wilde Isar.
Was fordern Sie?
Wenn ich ganz plakativ etwas fordern sollte – nur mit Blick auf die Isar – würde ich sagen: Wehr und Walchenseekraftwerk wegreißen.
Das ist nicht besonders realistisch.
Natürlich nicht. Aber sanft kann man es nicht mehr formulieren. Unabhängig davon muss etwas passieren. Eigentlich müsste man das ganze Tal ab Krün mit Baggern von den Weiden befreien. Ein irrsinniger Aufwand – auch nicht besonders realistisch. Aber wenn man heute über den Hochwasserschutz und die Wasserregulierung am Wehr entscheidet, muss man die Weichen richtig stellen. Sonst ist die wilde Isar weg. Für immer.
Reine Natur-Wohlfühl-Filme sind nichts für Sie, oder?
Dafür haben wir als Filmer eine zu große Verantwortung. Die Welt steht zu sehr an der Wand, als dass ein Naturfilm nur der Entspannung dient.
Aus den Bergwelten im Herbst 2020
DIE ISAR-FILME von JÜRGEN EICHINGER
- Die Isar – Der letzte Wildfluss:
Erstausstrahlung: 29. März 2020
Produziert für die Serie „natur exklusiv“ im Bayerische Fernsehen
Zu sehen in der ARD- und der BR-Mediathek; Dauer: 45 Minuten
Jürgen Eichinger folgt der Isar auf ihren ersten 60 Kilometern von ihrem Ursprung bei Scharnitz in Tirol bis zum Sylvensteinspeicher. - „Wasser für die wilde Isar“
Erstausstrahlung: Januar 2021
Produziert für die Serie „natur exklusiv“ im Bayerische Fernsehen
Zu sehen in der ARD- und BR-Mediathek; Dauer: 45 Minuten
Die letzten Kilometer Wildfluss sind massiv bedroht. Jürgen Eichinger zeigt nicht nur die Problematik, sondern widmet sich auch den vielen verschiedenen Interessen. - Der Filmemacher Jürgen Eichinger
Geboren 22.10.1961 in Rotthalmünster (Lkr. Passau)
Diplom-Geograph
Erste Kurzfilme während des Studiums; vier Jahre Gasthörer an der Hochschule für Fernsehen und Film; erster Fernsehfilm: 1985 „Angst“ (ab 14 Jahre); seit 1985 eigene Produktionsfirma; ab 1989 auch als freier Autor/Regisseur für den Bayerischen Rundfunk tätig: Schwerpunkte Kultur und Natur
Über 50 Dokumentarfilme und Fernsehfeatures, davon mehr als die Hälfte im (Hoch-)Gebirge; Jurymitglied bei Filmfestivals
Über 60 Preise, Auszeichnungen und Nominierungen