Bergwelten Menschen & Geschichten

Künstlerin Sani Kneitinger: Schon immer ein bisschen anders

Für manche in Garmisch-Partenkirchen ist Sani Kneitinger die G‘spinnerte. Sie pfeift drauf. Hat gekündigt und lebt von ihrer Kunst.

I von Magdalena Kratzer


Auf einmal bleibt sie stehen. Starrt nach oben. Die kleine Sani (10) ist mucksmäuschenstill. „Jetzt auf einmal“, denkt sich ihre Mama. Alles hat sie probiert. Spielen, vorlesen, schimpfen. Erfolglos. Ihr Wirbelwind ließ sich nicht beruhigen. Gerade noch hüpfte das Mädchen mit dem Gymnastikball durch die Wohnung. Lachte, gackerte. Vollführte Kunststücke. Hüpfte weiter. Stundenlang. Jetzt steht sie regungslos am Berg. Und schaut.


Oft hat sie den Wank schon gesehen. Doch an diesem Nachmittag im Herbst sieht er für die kleine Sani ganz anders aus. Der Berg leuchtet. In Grün, Blau, Gelb. Wolken, dick wie Zuckerwatte, ziehen vorbei. Später wird sie die Farben mit Wasserfarben auf ein Blatt Papier malen. Ihre Mama wird es stolz betrachten. Das Bild ist ihrer Sani wieder besonders gut gelungen.

Ihr Zuhause, ihre Welt: Künstlerin Sani Kneitinger in ihrem Atelier in Garmisch-Partenkirchen, inmitten ihrer Berge, ihrer Dreieinigkeit. © Thomas Sehr

 

Heute – 20 Jahre später – bleibt Sani Kneitinger immer noch stehen, wenn sie mit dem Rad zu ihrer Galerie an der Bahnhofstraße in Garmisch-Partenkirchen fährt. Nicht für den Wank. Sondern für die Zugspitze, die Alpspitze, den Jubiläumsgrat. „Die heilige Dreieinigkeit“ bringt sie zur Ruhe. Sie kann sie immer anschauen. Je nach Wetter, je nach Sonnenstunde sehen die drei anders aus. Manchmal wechselt Sani Kneitinger die Perspektive und blickt von Grainau aus hinauf. „Dann bin ich ganz bei mir.“ So wie damals, als kleines Mädchen.


Sani Kneitinger: Nur beim Malen kommt das Mädchen zur Ruhe


„Das Kind hat zu viel Energie“, hat ihre Mama oft gesagt. Manchmal dachte sie an ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Nie konnte Sani stillsitzen. Ihre Mutter meldete sie beim Leichtathletik-Kurs an. Bald wurde daraus Leistungssport, Sani Kneitinger fuhr zu Wettkämpfen, gewann auch einige. Ruhig war das Mädchen aber nur beim Malen. Im Kindergarten, im Unterricht, überall packte sie die Stifte aus. Aus ihren Schulheften machte sie Kunstwerke. Manch eines behielten die Lehrer am Jahresende. Als bekäme es einmal Sammlerwert.

In der Backstube der Großeltern hat sich Sani Kneitinger schon immer wohl gefühlt. Zur Ruhe kam das Mädchen aber nur beim Malen. © Sani Kneitinger


Anders als andere war sie schon immer, sagt Sani Kneitinger über sich selbst. „Ich bin das schwarze Schaf“, sagt sie über ihre Rolle in der Familie. Sie, die Künstlerin. Mutter und Bruder arbeiten im Kaufmännischen. Der Ziehvater betreibt eine Mühle im Landkreis Weilheim.


Mit 16 dachte Sani Kneitinger, sie muss auch was Gescheites lernen. Geld verdienen. Nach der Mittleren Reife ließ sie die Fachoberschule sausen und machte eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten. Nach dem Praktikum dachte sie: „Mei, des ist halt a Arbeit.“ Die Mutter war zufrieden. Das Gehalt passte. Sani Kneitinger fand’s „staubtrocken“. Steuererklärungen, Buchhaltung, Rechnungen schreiben, das passte nicht zu ihr. „Acht Stunden am Tag – das war zu viel.“ Am Abend ging die Garmisch-Partenkirchnerin zum Feiern. Abreagieren. Was erleben. Bald half das nicht mehr. Sie reduzierte auf 20 Stunden. Mit Mitte 20 kündigte sie.

Bunt ist die Welt von Künstlerin Sani Kneitinger aus Garmisch-Partenkirchen. Farbenfroh und kreativ. © Sani Kneitinger


Im Nachhinein hat alles seinen Sinn, sagt Sani Kneitinger heute. Ihr Lehrberuf hilft ihr. Umsatzgenerierung, Steuerrecht, Buchhaltung – ohne geht es als selbstständige Künstlerin nicht. Auch wenn sich die meisten darunter etwas Blumigeres vorstellen. „Die denken, da malst halt a bisserl und schon hat sich das Ganze.“ Sie lacht.


Neue Ausstellung "Candy Mountains" dem Großvater gewidmet


In ihrem Atelier an der Bahnhofstraße bereitet sie ihre neue Ausstellung vor. „Candy Mountains“. Nur wenige Meter von der ehemaligen Konditorei ihres Opas entfernt. Ihm widmet sie die Schau. Der Eröffnungstag (siehe Kasten unten) ist sein Geburtstag – er wäre 100 Jahre alt geworden.


Der verstorbene Großvater ist wohl mit verantwortlich für ihren Werdegang. Das Künstlerische hat sie von ihm, sagt seine Enkelin. Als Einzige in der Familie.

Ebenfalls ein Künstler - auf seine Art: Sani Kneitingers Großvater Alois war Konditor. © Sani Kneitinger


Alois Kneitinger war Künstler und Konditormeister. Mit eigener Konditorei an der Bahnhofstraße, die er mit seiner Frau Aloisia betrieb. Bevor er die kleinen rosa Schweinchen, das Jesuskind oder den Osterhasen aus Marzipan für das Schaufenster knetete, skizzierte er sie auf Papier. „Das waren kleine Skulpturen“, sagt Sani Kneitinger. Ausgehärtete Schweinchen von ihm liegen heute noch in einer Schublade in ihrem Atelier.


Malen im Schneidersitz - zu Vivaldis vier Jahreszeiten - 


Im Schneidersitz sitzt Sani Kneitinger auf dem Boden und tupft mit dem Pinsel Grün und Rot auf die Leinwand: das Tal. Darüber eine Bergkette in Blau und Weiß. Ein pinkfarbener Himmel. Pinkfarbene Fäden ziehen sich durch das Bild.


Vivaldi füllt den Raum, die vier Jahreszeiten. Beim Malen hört sie gerne Klassik. Ihre kinnlangen, braunen Haare hat Sani Kneitinger lässig zu einem Dutt gebunden. Mit ihrem roten Kapuzenpullover, der löchrigen Jeans, ihrer braunen Haut und den perlweißen Zähnen ginge sie auch als Surfergirl durch. Sie hat gut nach Australien gepasst.

Roadtrip durch Australien: Dort beschließt Sani Kneitinger: Es muss sich etwas ändern. © Sani Kneitinger

 

2012 kaufte sie sich das Ticket nach Down Under. Um 3 Uhr morgens, nach 48 Stunden im Flugzeug, kam Sani Kneitinger alleine am anderen Ende der Welt an – ohne eine Bleibe, ohne ein Bett. Sie hatte sich nicht einmal damit befasst, wie lange man fliegt. Gebucht hatte sie nichts, wollte alles auf sich zukommen lassen. Ihre 3000 Euro waren nach drei Wochen weg. „Super – jetzt musst du arbeiten“, dachte sie. Auf der Blumenfarm, der Himbeerfarm und in Bars verdiente sie Geld. Kaufte sich ein Auto und machte einen Roadtrip quer durchs Land. Ein Jahr Australien, drei Monate Bali.


Am Felsen Uluru beschlossen: Es muss sich etwas ändern - die Mama entsetzt


„Das war die absolute Freiheit“, sagt Sani Kneitinger. Eine Zeit, in der sie Menschen aus der ganzen Welt kennenlernte. In der sie tagelang alleine durch die Wüste fuhr. Viel Zeit zum Nachdenken. „Ich hab‘ mich total mit mir auseinandergesetzt.“ Am Uluru, dem bekanntesten Felsen Australiens und einem Heiligtum der Aborigines, wurde ihr klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

In Garmisch-Partenkirchen an der Bahnhofstraße kann man Sani Kneitingers Werke bewundern - sobald es die Corona-Pandemie zulässt. © Sani Kneitinger


Zuhause in Garmisch-Partenkirchen arbeitete sie nur noch Teilzeit in der Steuerkanzlei, experimentierte wieder mit Farben. Nach einem Bericht im Fernsehen probierte sie Körperkunst aus. Ihre besten Freundinnen standen ihr Model. Sie verwandelte sie in Baumrinden, Steine oder Moosgewächs. Auf den Fotos musste man schon ganz genau schauen, um zwei Augen und einen menschlichen Körper im Waldmotiv zu erkennen.


Auf der internationalen Bodypaint-Weltmeisterschaft in Klagenfurt wurde sie 2018 Vize-Weltmeisterin. Singles, Paare und Schwangere buchten bei ihr Bodypaintings samt Fotoshootings. Bald musste sie keinen Schritt mehr in die Steuerkanzlei setzen. Sie verdiente genug. Wurde Vollzeit-Künstlerin. „Um Gottes Willen“, sagte ihre Mama.

 

Sani Kneitinger: Keine Handwerkerin, sondern Künstlerin mit freiem Kopf


Heute verwandelt Sani Kneitinger keine Körper mehr. Wenn sie mit dem Schwamm die Farbe von den Armen und Beinen ihrer Modelle abwischen musste, versetzte ihr das einen Stich. „Es ist vergänglich.“ Die Farbe auf der Leinwand bleibt. Auftragsarbeiten muss sie ohnehin nicht mehr machen. Gott sei Dank. Das passte nicht zu ihr, genauso wenig wie die Steuerfachangestellte. Sie möchte keine Handwerkerin sein, sondern Künstlerin. Mit einem freien Kopf. „Ein freier Kopf ist das Majestätischste, was du haben kannst.“

„Ein freier Kopf ist das Majestätischste, was du haben kannst“, sagt Sani Kneitinger. Den hat die Künstlerin aus Garmisch-Partenkirchen. © Sani Kneitinger


Majestätisch sind für sie auch die Berge. 2017 stieg sie ins Auto, um zu den imposantesten Bergen zu fahren. Zum Vesuv nach Italien, zum Wilden Kaiser nach Österreich, an den Mont Blanc nach Frankreich, ans Matterhorn in die Schweiz. Der Aufstieg auf einen Berg ist für sie ein „befreiender Prozess, ein geiles Freiheitsgefühl“. Am liebsten jedoch steht sie im Tal und schaut hinauf. Was sie sieht, malt sie. Wie damals als kleines Mädchen. Und doch anders.


"Waaaaas? Schon wieder Berge?" - Ja. Sani Kneitinger experimentiert damit


Sani Kneitinger experimentiert mit den Bergen. Entmaterialisiert sie mit schnellen Pinselstrichen und knalligen Farben, sodass man sie nicht gleich erkennt. Sie thematisiert den Klimawandel. Malt auf viereinhalb mal zwei Meter einen Eisbären, der unterhalb des Wilden Kaisers an einer Eiswaffel schleckt, während um ihn herum der Meeresspiegel steigt, daneben eine Schildkröte, die im Fischernetz verendet. Mit zwei Liebenden, die sich über dem Matterhorn umarmen, plädiert sie für mehr Mitgefühl und Zeit füreinander.

Sani Kneitinger malt nicht nur für die gute Laune. Sie vermittelt Botschaften auf der Leinwand. © Sani Kneitinger


„Waaaaaas? Schon wieder Berge?“ Das hört sie oft. Es ist ihr egal. „Das ist aber schiach.“ Auch das hört sie. „Ich kann damit umgehen.“ Schönheit liege im Auge des Betrachters. Gerne beobachtet sie diejenigen, die sich auf ihre Bilder einlassen. Deren Augen am Bild hin- und hergleiten. Die gar nichts sagen. Einfach die Farben auf sich wirken lassen. „Die sind dann ganz im Hier und Jetzt.“ Wenn Sani Kneitinger das mit ihren Bildern schafft, „ist das für mich das Coolste“.


Die G'spinnerte mit der rosa Brille - aber: „Verträumt war ich noch nie“


Sani Kneitinger weiß, dass sie für manche die „G‘spinnerte“ ist. Die Naive, die eine rosafarbene Brille trägt. Dabei sagt sie: „Verträumt war ich noch nie.“


Mit zwölf Jahren starb ihre beste Freundin bei einem Unfall. Das hat sie eine Sache gelehrt: Das Leben ist ein Geschenk, aus dem man etwas machen sollte, in dem man auch einmal scheitern darf. „Fehler sind doch geil, nur so kannst du besser werden.“ Am Ende, daran glaubt sie fest, kommt der Erfolg, solange man etwas macht, womit man glücklich ist. Wie Sani Kneitinger. Ihre Berge stehen mittlerweile auf Kaminsimsen in Amerika, hängen an Wänden in Großbritannien und Frankreich.

In vielen Varianten und Farben hat Sani Kneitinger ihrer Lieblingsberge auf Leinwand festgehalten - auch als Triptychon. © Sani Kneitinger


Auch in Garmisch-Partenkirchen soll mehr mit Kunst passieren. Gerade gründete Sani Kneitinger die „New Art Salon Foundation“. Damit möchte sie einen Ort für zeitgenössische Kunst schaffen und Ausstellungen mit Künstlern aus der Region und aus allen Teilen der Welt realisieren. In ihrem Salon – den sie nun neben ihrem Atelier und ihrer Galerie an der Bahnhofstraße führt – können sie ihre Werke präsentieren und verkaufen. „Ich wünsche mir, dass Kunst für jeden zugänglich ist.“


Vernissagen waren auch in New York und London geplant. Die Bilder waren fertig. Doch Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung. „Ich bin nicht traurig, ich hätte es eh zum ersten Mal gemacht.“ 2021 will die Garmisch-Partenkirchnerin in Hamburg und Wiesbaden ausstellen.


Gut kann sich Sani Kneitinger vorstellen, noch einmal ins Ausland zu gehen. Ihre Basis wird aber immer Garmisch-Partenkirchen sein. Unter der Zugspitze, der Alpspitze, dem Jubiläumsgrat. Ihrer heiligen Dreieinigkeit.


DIE AUSSTELLUNG "CANDY MOUNTAINS"

  • Eröffnung: 26. Juni 2021
  • Wo: in den Räumen der „New Art Salon Foundation“ an der Bahnhofstraße 21 in Garmisch-Partenkirchen. 
  • Zeitraum: Die Werke sind bis 15. August 2021 zu sehen. 
  • Öffnungszeiten: dienstags und freitags von 16 bis 19 Uhr, samstags von 12 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung. Darauffolgende Ausstellungen werden auf der Homepage www.newartsalonfoundation.com bekannt gegeben.
  • Kontakt: Für Auskünfte steht auch Sani Kneitinger, Telefon 08821/798618 oder per E-Mail an art@newartsalonfoundation.com zur Verfügung. 
  • Weitere Infos zur Künstlerin gibt es unter www.sani-kneitinger.com