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Toni Bartl – Der Grenzgänger unter den Musikern

Aus Schrott baut Toni Bartl aus dem Kreis Garmisch-Partenkirchen Instrumente. Auf einem spielt Andreas Gabalier. Auf 150 Bartl selbst. .

von Manuela Schauer


Toni Bartl klopft mit einem Gummiklöppel auf einen Rotweinkelch. So einen mit richtig dickem Bauch. Er starrt auf sein Gitarrenstimmgerät, dann schüttelt er den Kopf. Viel zu tief. Neuer Versuch. Diesmal nimmt er die schlankere Version. Schon besser. Die ersten Kunden schielen zu ihm rüber. Bartl steht mal wieder vor einem Regal mitten in der Haushaltsabteilung eines Möbelhauses. Eine Verkäuferin fragt, ob sie helfen kann. „Ich bräuchte dieses Glas in ,C'“, antwortet er im Scherz.


Toni Bartl macht den ultimativen Gläser-Klang-Check. „Ich hab' sie alle nach dem Ton ausgesucht“, erzählt er den Bergwelten ein paar Jahre später in seiner Werkstatt. Er war getrieben von einer ausgefuchsten Idee.

Das Gläser-Klavier, für Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen eine seiner Meisterleistungen. © Thomas Sehr


Bartl, ein kräftiger Kerl mit kurzen braunen Locken und blauen Augen, steht an einem Stehtisch aus Bulldog-Teilen am Tor seiner Halle im Peißenberger Gewerbegebiet, in der locker fünf Lkw parken könnten. Gleich rechts neben dem Eingang arbeitet er, an einer meterlangen Werkbank aus Holz, darüber tummeln sich auf einer Ablage an der Wand zahllose Gitarren – die meisten ohne Hals. Die andere Seite nutzt Bartl als Lagerplatz.


In einer Ecke verwahrt er seine „größte Leistung“. Das Gläser-Klavier. Dafür klapperte er damals sämtliche Kaufhäuser ab. Bartl schlachtete ein Klavier aus und baute ein Regal ein – inklusive 39 Exemplare der ausgewählten zerbrechlichen Tonträger. Vom Wein- bis zum Likörglas. Statt Saiten werden sie beim Tastendruck angeschlagen. Musisch, originell, typisch Toni Bartl.


Toni Bartl erfindet 150 Instrumente aus Schrott, Müll, Alltagsgegenständen


In der Halle wimmelt es von solchen Erfindungen. Eigenkreationen wie die „Pümpelorgel“ aus Abflussstöpseln oder die „Autohupenorgel“ mit einem Benzintank als Kontrabass. „Priorität hat immer, dass sie einen Joke hergeben.“

Gitarren bleiben bei Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen selten im Originalzustand. © Thomas Sehr


Bartl, der in Uffing wohnt und in Graseck über Garmisch-Partenkirchen auf einem Bergbauernhof aufgewachsen ist, hat all die Instrumente selbst erfunden und gebaut. Er ist der Daniel Düsentrieb der Instrumentenbauer. „Als meine Inspirationsquelle dient oft der Baumarkt.“


150 Klangkörper aus Schrott, Müll und Alltagsgegenständen sind so entstanden. Jeder ein Unikat; eine Ausstellung wäre sicher gut besucht. Dafür müsste er aber eine große Ausräumaktion starten. Denn die meisten Werke hat Bartl in beschrifteten Boxen verstaut. Dort vegetieren sie aber nicht vor sich hin. Bartl erweckt sie zum Leben, tritt mit ihnen in verschiedenen Combos mit insgesamt 18 Musikern auf. Unter anderem im Oman, in Spanien, Frankreich, in der Schweiz.


Toni Bartl und seine Musik-Shows – „Alpindrums“ als Meisterwerk 


Aus seinem Sammelsurium an Instrumenten hat Bartl seit 2000 zehn Programme entwickelt. Innovative Shows wie „Auto di Takt“ oder „Recyklang“. Jegliches Zubehör dafür residiert in der Halle. Mit einer Ausnahme. Bartl verlässt den Bulldog-Stehtisch und geht nach draußen. Vor dem Tor parkt ein roter Kleinbus. Hinter den Kofferraumtüren verbirgt sich, zentimetergenau eingeschlichtet, die auseinandergebaute Bühnenkulisse der historischen Wirtshausmusi „Knedl & Kraut“. „Wir sind die einzige Stubenmusi“, sagt Bartl und grinst wie ein Lausbub, „die ihre Stubn dabei hat.“

Alle seine Instrumente hat Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen selbst erfunden.

Eine Riesentrommel hat Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen für seine Show "Alpindrums" gebaut. © Thomas Sehr


Zu Bartls Meisterwerken zählt die Multimediashow „Alpindrums“, die den Alltag eines Bergbauern nachzeichnet. Tonal natürlich, vom Takt der Axt, dem Graskratzen der Sense bis zum Zischen beim Melken. Aber es wäre nicht in Bartl-Manier, wäre da nicht noch ein optischer Kracher dabei: Während der Auftritte fährt eine Trommel als Projektionsfläche mit zwei Metern Durchmesser in die Höhe. „Es gibt nicht viele in dieser Größe“, betont der Musiker aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Sie zieht auch die Aufmerksamkeit in der Halle auf sich, thront über dem Gläser-Klavier.


Bis sie fertig war, musste sich Bartl in Geduld üben. Nicht die einfachste Aufgabe für einen Menschen, der vor Aktionismus sprudelt. Die „Alpindrum“ ist mit Naturfell überzogen. Drei Monate suchte ein Spezl nach einem Bullen, „der das Fell dafür hergibt“. Bartl hat bekommen, was er wollte. Solche Herausforderungen spornen den Mann an. Sie sind der Kitzel seiner Kreativität.


Vater und Sohn Hannesla: Werdenfelser Unikate und Meister-Musiker


Die Idee zu seinem ersten Programm „Bairischer Sperrmüll“ (2001) lieferte indirekt sein Vater, der sich bei einem seiner früheren, kleineren Auftritte eine Anmerkung erlaubte. „Er meinte, dass es auf der Bühne aussieht wie auf dem Sperrmüll.“ Schon glühten beim Sohn die Ideen-Lämpchen im Kopf. Seinem Papa hat der Bastler nicht nur diesen Einfall zu verdanken, sondern auch sein musikalisches Talent. Toni Bartl senior, als d'Hannesla eine Werdenfelser Legende. Und eine Koryphäe auf der Steirischen Harmonika.

Schon als Bub hat Toni Bartl seine Instrumente zerlegt. © Thomas Sehr


Mit zehn Jahren spielte der Junior zum ersten Mal auf der Diatonischen. So recht aber wollte der Funke nicht überspringen. „Das musikalische Interesse war noch nicht so stark“, räumt Bartl ein. Das Technische faszinierte ihn. Erst zerlegte der Bub die Küchenmaschine der Mama in alle Einzelteile, dann die Steirische. „Ich hab das Griffbrett abgenommen“, erzählt er und fängt an zu lachen. Da fielen auch schon alle Knöpfe nach innen. „Ich hab's nimma zamkriegt.“ Der junge Bursch ließ danach die Finger vom Instrument. Vorerst.


Toni Bartl: Erste CD mit 20, Weltmeister mit 25 


Musikalisch startete er als Jugendlicher einen neuen Anlauf. Papa Bartl brachte ihm seine Stücke bei. „Er hat mich nicht gezwungen.“ Den 16-Jährigen packte der Ehrgeiz von allein. Fünf Stunden am Tag übte er. Mit 20 nahm der Autodidakt seine erste CD auf, 1996 folgte der große Coup: Bartl setzte sich im italienischen Castelfidardo gegen 200 Mitstreiter durch und holte den Weltmeistertitel auf der Diatonischen.

150 Klangkörper hat Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen schon erfunden. © Thomas Sehr


Nach diesem Erfolg konnte der Werdenfelser nicht aufhören. Seine Zuhörer erlebten ihn erst solo, dann als Duo. Oft wurde er mit seinem Vater verglichen, das störte ihn aber nicht. Bartl ging seinen eigenen Weg und wurde musikalischer Grenzgänger. Hauptberuflich. Der gelernte Kfz-Mechaniker gab seinen Gebrauchtwagenan- und -verkauf in Oberau auf, eröffnete einen kleinen Imbiss, den er drei Jahre lang selbst führte, arbeitete als Radio-Moderator und organisierte Veranstaltungen mit Dialekt-Bezug, ehe er sein Hobby zum Beruf machte.


Musiker Toni Bartl: Die Instrumente sind seine Stars


In seiner Halle tobt sich der Tüftler aus. „Ich habe Ideen, die reichen für drei Jahre Arbeit“, sagt er freudestrahlend. Bartl ist stolz auf sein Werk, doch der Erfolg ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. „Früher“, sagt er, „waren mir Preise wichtig, weil Veranstalter dadurch aufmerksam werden.“ Heute ist das anders. „Die Instrumente sind die Stars.“

Alle seine Instrumente hat Toni Bartl aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen selbst erfunden. © Thomas Sehr


Ein ganz spezieller Wunsch trudelte einmal bei Bartl ein. Die Lebensgefährtin von Österreichs Alpenrocker Andreas Gabalier saß in einer seiner Shows. Sie wollte ihrem Liebsten etwas Besonderes unter den Christbaum legen und hatte es auf das Instrument abgesehen, das Poseidons Dreizack gleicht. Eine 120 Jahre alte Heugabel, die Bartl zur Gitarre umfunktioniert hat. Er verkaufte sie, ausnahmsweise. In der Regel gibt er seine Instrumente nur ungern in fremde Hände. Nun geht Gabalier mit ihr auf Tour und begeistert damit Zig-Tausende Fans.


Toni Bartl: Musiker, Erfinder, Regisseur, Gastronom und mehr


Auch Bartl braucht das Rampenlicht. Und er braucht ständig Arbeit und Abwechslung. Mit Ruhe kann er nichts anfangen. „Mir wird schnell langweilig“, sagt er über sich. Wenn er gerade mal keine ausgefallenen Instrumente bastelt, dreht er Filme. Sein erster war eine Dokumentation über das Leben seines Vaters. Oder er entwickelt Werkzeuge, etwa eine Untertisch-Schraubzwinge namens „FixButler“ oder einen Hebelspannstock. Dafür gehören ihm die Patente. Auch in seinem Heimatort Graseck über Garmisch-Partenkirchen hat Bartl ein großes Projekt: die Kaiserschmarrn-Alm.


Das Multitalent hat eben viele Berufe, die er sich alle selbst beigebracht hat: Manager, Handwerker, Musiker, Erfinder, Regisseur, Kulissenbauer, Agent und Produzent. Toni Bartl erfindet eben nicht nur Instrumente. Toni Bartl erfindet auch sich selbst immer wieder neu.


Aus den Bergwelten im Sommer 2016.