Berge & Schauplätze Bergwelten

Schneefernerhaus: Versunkene Gasflasche und schlafende Holländer

Was hat Hans Bartosik auf dem Schneefernernhaus unterhalb der Zugspitze nicht schon alles erlebt. Stundenlang könnte man ihm zuhören. 


I von Katharina Bromberger

Er ist der Hans. Der Hans vom Schneefernerhaus. Nur dort heißt er so. Seine Eltern gaben ihm eigentlich den Namen Jan. Jan Bartosik. Im Vorstellungsgespräch aber wurde da was falsch verstanden. Jan oder Johann – klingt ja fast gleich. Bartosik also blieb der Hans. Seit 18 Jahren nennen ihn die Kollegen so. So lange schon ist der 55-Jährige auf der exponierten Forschungsstation beschäftigt. Offenbar ziehen ihn die Extreme an: Zwischen 1980 und 1986 arbeitete er in seiner Heimat Oberschlesien im Bergbau, 1000 Meter unter der Erde. Jetzt eben 2650 Meter darüber.


In seiner Zeit dort oben am Berg für die Betriebsgesellschaft Schneefernerhaus hat der Murnauer einiges erlebt. Kurioses. Und überaus Amüsantes. Ein paar Anekdoten verrät der Mann mit dem lausbubenhaften Grinsen. Jede davon kündigt er an mit den Worten „Eine lustige Geschichte“ – was dann folgt, hält, was Bartosik verspricht.


Irgendwie muss die Gasflasche auf den Berg


Der Stickstoff ist aus. Doch die Forscher brauchen ihn unbedingt. Witterung hin oder her. Denn es stürmt und schneit an diesem Freitag im Winter 1999, meterhoch liegt der Schnee. Aber irgendwie muss das Team der Betriebsgesellschaft die Gasflasche auf den Berg bringen. Die Fahrt mit der Seilbahn bis zum Sonnalpin verläuft problemlos. Doch die heutige Bahn zum Schneefernerhaus, in die man von der Bergstation der Eibsee-Seilbahn problemlos umsteigen kann, gibt es noch nicht. Für die Weiterfahrt müssen die Mitarbeiter etwa 500 Meter übers Platt marschieren und einen kurzen, steilen Hang zum Lifthäusl hinunterrutschen – an diesem Freitagnachmittag mit einer 50-Kilo-Gasflasche auf der Schulter. Zu zweit kämpfen sie sich durch den hüfthohen Schnee. Plötzlich aber rutscht Hans Bartosik aus – „und die Flasche schießt wie ein Geschoss den Abhang in Richtung Liftstation hinunter – und war weg.“ Spurlos verschwunden. „Wir haben sofort das Platt gesperrt, damit keine Pistenraupe drüberfährt“ – Explosionsgefahr. Dann beginnt das große Graben. Fünf Mann pflügen den Hang um. Stundenlang. Bis auf die Haut durchnässt ist das Team, durchgefroren, hundemüde. „Aber wir haben die Gasflasche gefunden.“

Undenkbar wäre heute eine Aktion wie diese. Allein wegen der Sicherheit. Das gilt auch für die nächste lustige Geschichte.


Um halb 2 Uhr morgens piepsen die Rauchmelder


Hans Bartosik sitzt nachts schon zu Hause in Murnau, sein Dienst ist beendet. Über Computer aber bleibt er mit dem Schneefernerhaus verbunden. Sobald es Probleme gibt, wird er benachrichtigt. Wie in dieser Nacht vor etwa 15 Jahren gegen halb 2 Uhr morgens. Die Rauchmelder in der Forschungsstation piepsen, das System schlägt sofort bei Bartosik Alarm. Via Ferndiagnose macht er die Küche als Quelle für ein mögliches Feuer aus. Bevor er aber die gesamte Rettungsmaschinerie in Gang setzt – heute läuft das automatisch und rasend schnell – will er einen Fehlalarm ausschließen. Also ruft er im Haus einen Mitarbeiter der Zugspitzbahn an, schickt ihn in den ersten Stock. Und was sieht er? Einer der Wissenschaftler, der die Nacht im Schneefernhaus verbringt, wollte sich für seinen Tee Wasser erhitzen – war daran allerdings gescheitert. Weil er statt eines Topfes einen Wasserkocher direkt auf die Herdplatte gestellt hat. Der Plastikbehälter schmolz, stank und qualmte fürchterlich. „Aber passiert ist nichts“, sagt Bartosik lachend. Die Küche steht heute noch und wird auch genutzt.

Apropos Küche, da gibt’s noch so ein Erlebnis.


Der Schaum aus der Spülmaschine erfüllt Küche und Gang


Hochrangige Gäste sind im Haus. Um sie angemessen zu versorgen, haben Hans Bartosik und sein Team in der alten Küche ein Buffet aus belegten Broten, Knabbereien, Gebäck, Getränken und Kaffee aufgebaut. Ein junger Mathematiker, ein Doktorand, hilft bei der Bewirtung. Ein erster Schwung ist versorgt, als sich weitere Gäste ankündigen. Bartosik muss sie abholen. Mindestens eine Stunde wird er unterwegs sein. In der Zwischenzeit könne ja sein Helfer schon das benutzte Geschirr abräumen. Gewissenhaft stellt der junge Mann alles in die Spülmaschine ein und schaltet sie ein – nicht ohne vorher das Fach für das Reinigungsmittel und jenes für den Klarspüler mit Spülmittel zu füllen. Bis Bartosik zurückkommt, quillt der Schaum schon aus der Küche und auf den Gang. Bis fast an die Decke steht die nach Zitrus duftende Gischt, die alle Leckereien unter sich begräbt. „Das wurde immer mehr, ich konnte nicht mehr rein.“ Also kümmert sich Bartosik erst einmal um frischen Kaffee und neues Essen.


Elf Stockwerke: Permanent verläuft sich wer


Übernachtungsgäste brauchen auch heute immer wieder die Hilfe von Bartosik und seinen Kollegen. Verbringt eine größere Gruppe für ein Forschungsprojekt die Nacht im Haus, bleibt einer aus dem Team da. Als Ansprechpartner für – alles. Rege Nachfrage herrscht in der Höhe nach Kopfschmerztabletten, ab und an vergisst jemand die Zahnbürste. Immer wieder müssen die Mitarbeiter Erste Hilfe leisten. Oder Verirrte ans Ziel bringen. Denn permanent verläuft sich jemand in dem riesigen Gebäude über elf Stockwerke – acht nach oben, drei nach unten. Deshalb verteilen die Mitarbeiter auch gleich mit der Begrüßung ihre Handynummern an die Gäste.

Die lustigste Geschichte zu Übernachtungsgästen aber liegt schon einige Jahre zurück.


Auf der alten Wanderkarte noch "Hotel Schneefernerhaus" vermerkt


Bereits 1990 hat das Schneefernerhaus als Hotel geschlossen. Nur hat sich das offenbar nicht überall herumgesprochen. Eine Gruppe aus Holland jedenfalls wusste es vor etwa 15 Jahren nicht. Hans Bartosik kommt am Morgen gerade in die Arbeit, da stolpert er über Niederländer, die es sich auf ihren Isomatten und in ihren Schlafsäcken im Eingangsbereich gemütlich gemacht haben. „Was macht Ihr denn hier?“, will Bartosik wissen. Die Antwort der zwölf Gäste ist so einfach wie unterhaltsam: In der Nacht kamen sie an „und wollten die Mitarbeiter an der Rezeption nicht mehr wecken, um ihre Zimmer zu beziehen“. Auf ihrer alten Wanderkarte nämlich ist noch das „Hotel Schneefernerhaus“ vermerkt. Von einer Umweltforschungsstation wissen die Holländer nichts. Ihre enttäuschte Erkenntnis: „Dann bekommen wir jetzt also kein Frühstück?“

Vor gar nicht allzu langer Zeit wäre ja beinahe jemand unfreiwillig zum Übernachtungsgast geworden. Auch sehr amüsant.

"Hallo, ich bin im EDV-Raum eingesperrt"


Ein Spezialist kommt vorbei, um die EDV-Anlage zu warten. Bei niemandem meldet er sich an; keiner also weiß, dass er im Haus arbeitet. Am Abend macht ein Kollege von Hans Bartosik den routinemäßigen Kontrollgang, prüft, ob alle Fenster und Türen verschlossen sind. Jene zum EDV-Kammerl steht noch offen; Licht brennt keines – es ist ja noch hell an diesem Sommertag. Also sperrt der Kollege die Tür zu und fährt mit der Bahn Richtung Tal. Wenig später klingelt bei Bartosik das Telefon, ein Mann meldet sich mit den Worten: „Hallo, ich bin im EDV-Raum eingesperrt. Wie komme ich wieder raus?“ Von zu Hause organisiert Bartosik, dass der Kollege umdreht und den Besucher befreit. Der kann von Glück reden: Eine Telefonnummer hatte er nicht. Bartosik erreichte er nur, weil am Apparat im EDV-Raum eine Nummer zur Wiederwahl gespeichert war: Hans Bartosiks.


Dies sind nur ein paar der unterhaltsamen Erlebnisse. Eigentlich, sagt Jan Hans Bartosik, „ist’s bei uns hier oben immer lustig“. Man glaubt’s gerne.


Aus den Bergwelten im Frühjahr 2016