Berge & Menschen Bergwelten

Alpenüberquerung auf Ski: Auf dieser Route hat sie wohl noch niemand gemacht

250 Kilometer, 20.000 Höhenmeter: Auf Skiern überquerte Brigitte Parson aus Garmisch-Partenkirchnerin die Alpen. Auf einer neuen und außergewöhnlichen Route.

I von Katharina Bromberger


Er lebt in Curaglia, einem kleinen Dorf in Disentis. Sie in Innsbruck. Und irgendwann kam die Frage auf: „Warum gehen wir nicht von mir zu dir?“ Brigitte Parson muss sie gestellt haben. Denn gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Corsin Flepp wollte die gebürtige Garmisch-Partenkirchnerin von Tirol in den schweizerischen Kanton Graubünden, wo Curaglia liegt, marschieren. Übers Gebirge. Auf Ski. Keine Alpenüberquerung von Süd nach Nord, wie sie die meisten unternehmen. Diese Tour von Ost nach West, die hatte wohl noch niemand angepackt.

Die weiße Weite macht das Skitouren-Abenteuer aus, hier am Aufstieg zum Scarlettapass von der Grialetsch-Hütte. © privat

 

Alpenüberquerung auf Ski: Schwierige Route, Orientierung, Lawinenrisiko


„Zu zweit war’s uns aber zu gefährlich“, sagt Parson. Denn sie mussten sich auf eine schwierige Route und Orientierung einstellen, zudem ein permanentes, mehr oder minder großes Lawinenrisiko – fern ab von Handynetz. Eine größere Gruppe bedeutete zusätzliche Sicherheit. Vorausgesetzt, das Klima und die Erfahrung in dieser Gruppe stimmen. Es sollte mehr als ein gutes Team werden. „Es hat perfekt gepasst. Der Zusammenhalt war enorm – uns allen ist es sehr schwer gefallen, uns wieder zu trennen“, sagt Parson und fügt lachend hinzu: „Schon am ersten Tag nach der Tour hab ich meine Männer richtig vermisst.“


Ski-Abenteuer von Tirol nach Graubünden: Jede freie Minute wird geplant


Ihre Männer, das waren für knapp zwei Wochen zwischen Ende Februar und Anfang März 2014 neben Flepp, Revierförster in Curaglia, noch Markus Bierbaum, Psychotherapeut und Bergführer aus Axams in Tirol, sowie Walter Krause, Tourenleiter im Alpenverein aus Innsbruck, beide langjährige Freunde von Parson, die sie bereits auf vielen Ski- und Klettertouren begleitet haben. Ein Anruf genügte – die beiden waren Feuer und Flamme für das Ski-Abenteuer.

Ein starkes Team mit starker Leistung: (v.l.) Corsin Flepp, Walter Krause, Brigitte Parson und Markus Bierbaum. © privat


In jeder freien Minute brüteten sie von nun an über Landkarten. Die Abmachung: Krause und Bierbaum planen den Tiroler Abschnitt der Skitour, Parson und Flepp den Schweizer Teil. So entstand eine Tour mit den Eckdaten: Start in Lüsens im Sellraintal, Ziel in Curaglia in Disentis, 210 Kilometer, 16.500 Höhenmeter im Aufstieg und 18.750 Höhenmeter in der Abfahrt in elf Tagen. Es sollte nicht dabei bleiben.


Jeder hat seine Rolle im Ski-Team: der junge Wilde, der Kompass, der Ruhepol, die Seele


Während der Tour hatte jeder im Team, alle vier in den 50igern, schnell seine Rolle gefunden: Markus Bierbaum „war unser junger Wilder“, sagt Parson liebevoll. Er steckte alle mit seiner Begeisterung für unverspurte Hänge an – auch wenn sich die Abfahrten hier und da als die falschen herausstellten und die Schwünge im Pulverhang zusätzliche Aufstiegsmeter bedeuteten. Walter Krause bildete da den Gegenpart. „Es war unser Kompass.“ Wenn jemand im oft undurchdringlichen Nebel den richtigen Weg fand, dann er. Flepp strahlte als „ruhender Pol“ stets Gelassenheit aus. Und Parson? „Ich glaube, ich war die Seele des Ganzen.“

Spurarbeit: Brigitte Parson marschiert voraus zur Hochstubaihütte bei 30 Zentimeter Neuschnee. © privat


Eines war sie ganz sicher nicht: als Frau das schwächste Glied in der Kette. Als ehemalige Pächterin der Adolf-Pichler-Hütte in den Stupaier und jetzige Pächterin der Bordierhütte in den Walliser Alpen – diese bewirtschaftet sie im Sommer, im Winter arbeitet sie in einer Steuerkanzlei in Garmisch-Partenkirchen – ist sie es gewohnt, anzupacken, hart zu arbeiten und selbst zu entscheiden. Das sollte auf der Skitour nicht anders sein. „Ich wollte genau wie die anderen spuren und die ganze Verantwortung mittragen.“ 


Vorbereitung für die Ski-Alpenüberquerung: Fitnessstudio, Intervalltraining, wenig Spaß


Akribisch hat sie sich deshalb auf die Tour vorbereitet. Ein Fitnesstrainer stellte ihr einen Zweieinhalb-Monatsplan zusammen. Spaß haben ihr, die sich in jeder freien Minuten in der Natur bewegt, die Einheiten im Fitnessstudio nicht gemacht. Auch das Intervalltraining war eine elende Schinderei. Aber das Ergebnis „hat mich begeistert. Wenn du an jedem Tag locker gehen kannst, macht das so viel aus.“ Konditionell und technisch stand sie den drei Männern in nichts nach. „Keiner von uns kam körperlich ans Limit.“ Und das bei überaus langen und kräftezehrenden Etappen.

Der Monstertag: Sieben Stunden marschieren die vier schon, als sie am Pass da Niemet Richtung Madesino ankommen. Sechs weitere kommen noch dazu. © privat


Jene von Tag zehn ist Parson besonders im Kopf geblieben, ihr einziger „persönlicher Krisentag“. Es geht von Innerferrera nach Splügen; beides liegt im schweizerischen Kanton Graubünden.


Monstertag auf Ski: Dichter Nebel, Routensuche, 13 Stunden unterwegs


Es herrscht dichter Nebel, fast im Blindflug marschieren die vier dahin. Drei Stunden lang suchen sie einen Pass, den Übergang, den sie unbedingt brauchen. Wenn sie ihn bis 15 Uhr nicht finden, müssen sie umdrehen. Um 15.15 Uhr endlich erreichen sie ihn. Doch vor ihnen liegen viele weitere Höhenmeter in Abfahrt und Aufstieg. Nach 13 Stunden auf Ski endet dieser „Monstertag“ – bei dem wohl besten Rösti und Zürcher Geschnetzeltem, das die vier Skitourengeher jemals gegessen haben.


Doch es liegt nicht an der körperlichen Anstrengung, weshalb Parson genau dieser Tag einer rundum beeindruckenden Tour so präsent ist. Auch die Landschaft, die sich der Gruppe am Pass bot, wird sie niemals vergessen: Schaumrollen, vereiste Windgangeln, riesige Wechten – „eine Mondlandschaft. Es ist unglaublich, wie die Natur toben kann“. Parson wird nachdenklich bei den Erinnerungen. Dieser Anblick, „er legte sich ein wenig auf die Seele“.


Ski-Abenteuer: Unsicherheit belastet, jede Traumabfahrt in Traumgelände belohnt


Zwar machte genau diese Wildheit der Natur auf der einen Seite die Faszination des Ski-Abenteuers aus. Auf der anderen Seite musste sich Parson immer wieder mit einem gewissen inneren Druck auseinandersetzen. „Irgendwie hat mich die Unsicherheit belastet, nie zu wissen, wie es nach einem Pass weitergeht.“ Dann fügt sie schmunzelnd hinzu. „Aber der Druck hat sich immer gelöst, wenn wir oben waren“ – und eine der „Traumabfahrten in Traumgelände“ wartete.

Und wieder Auffellen: Vom Val Funtaunas gehts für Brigitte Parson und ihre Männer Richtung Keschhütte. Einer der Traumtage in Traumgelände. © privat


Die haben auch für jede Mühe belohnt. 250 Kilometer Distanz, 20.000 Höhenmeter rauf und 22.000 runter – so viel kam am Ende tatsächlich heraus. Schneehase Parson – „ja, das bin ich: ein richtiger Schneehase“ – ist bereit für die nächste Tour. „Diese Weite, das Weiß, die Einsamkeit: Wenn du das einmal erlebt hast, willst du es nicht mehr missen. Das weckt Sehnsüchte.“


Aus den Bergwelten im Winter 2014.

DIE  ALPENÜBERQUERUNG UND IHRE ETAPPEN

So war die Tour geplant. Am Ende waren es deutlich mehr Höhenmeter.