Pauli Faistl nennt sich Einrad-Pauli. Sie trägt ihr Rad auf Berge ihrer Heimat, fährt auf einem Reifen ins Tal. So entdeckt sie die Bergwelten rund um ihre Heimat Ammertal im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Eine Leidenschaft. Eine Sucht.
I von Katrin Kleinschmidt
Das Wetter ist einfach nur greislig. Nass, kühl, so gar nicht wie Juli. Pauli Faistl steht pitschnass unterhalb der Kolbensattelhütte, als Streckenposten beim Ammergauer Alpen Cup. Ein Biker nach dem anderen rast an ihr vorbei. Dann wird’s ruhig. Alle sind durch. Jetzt ist ihre Zeit gekommen. Für sie und ihr besonderes Rad.
Faistl steigt auf ihr schwarzes Einrad, das sie extra mit raufgeschleppt hat. Der Boden ist weich, matschig, rutschig. Kontrolliert tritt sie in die Pedale, bloß nicht zu schnell werden – eine Bremse hat das Rad nicht. Faistl balanciert so etwa 400 Höhenmeter bergab bis ins Tal. Der Downhill-Versuch, ihre Premiere, gelingt. Die Erfahrung im Juli 2017 weckt die Lust auf mehr. „Ich war so fasziniert und so begeistert.“
Ab diesem Moment erobert sie nach und nach die umliegenden Berge – Pürschling, Hörnle, Brunnenkopf zum Beispiel. Rauf trägt sie das Einrad, runter trägt das Einrad sie. Faistl wird nahezu süchtig nach dieser Erfahrung. Sie wird die Einrad-Pauli.
"Einrad-Pauli" auf Stirnbändern und Mützen
Die junge Frau sitzt im Garten in Oberammergau und grinst. „Einrad-Pauli“. Sie mag den Namen. Aber sie hat ihn sich nicht selbst gegeben.
Im Winter 2017/18 traf sie am Kolben einen Mann. Er auf Ski, sie mit dem Einrad im Schnee. Sie kamen ins Gespräch. Später erkundigte er sich bei einer Bekannten nach der „Einrad-Pauli“. Der Name war geboren. Pauli Faistl, die eigentlich Paulina heißt, nahm ihn an, ließ Stirnbänder und Mützen damit bedrucken.
Gerade trägt sie ein schwarz-grün gestreiftes Stirnband, darauf in Orange ihr Name und eine Linie, die einem Bergprofil gleicht. Ihre Touren zeigt sie auf ihrem Instagramprofil. Als einrad_pauli und unter dem Hashtag #meinsportmeinleben nimmt sie ihre Follower mit. Virtuell.
Einrad-Pauli: Gerne allein am Berg unterwegs
Faistl ist gern allein am Berg unterwegs. „Das ist einfach anders.“ Die Stille, die Natur um sie herum, das liebt sie. Manchmal sitzt sie zwei, drei Stunden am Gipfel. Und ist dankbar. Dankbar für den Moment, dankbar für ihre Heimat. Für sie das Paradies.
Naturverbunden wächst Faistl auf. Ihre Eltern unternehmen Touren mit ihr und ihrem Bruder. Keine Lust auf Berge? „Hab' ich nie gehabt“, sagt sie und blickt zum Kofel, der vom Garten aus zu sehen ist.
Einrad-Pauli wohnt mit ihrem Vater, ihrer Mutter sowie ihrem Bruder und dessen Familie im Elternhaus in Oberammergau. Um den Garten kümmert sich die Mama. Pauli Faistl genießt die grüne Oase vor der Haustür. Ein kleiner Teich ist neben der Terrasse angelegt, ein Strandkorb steht auf der anderen Seite, Palmen wachsen, zwischen zwei Bäumen baumelt eine Hängematte. Faistls Lieblingsplatz. „Ich kann mal gut nix tun“, sagt sie. Aber das ist selten.
Meistens spürt sie diese innere Unruhe, das Gefühl, sich bewegen zu müssen. Hauptsache raus. Dieser Drang brachte sie zu ihrem Sport.
Für die Berge geübt: 100 Mal hingefallen, 101 Mal aufgestanden
Mittlerweile schauen ihr die Buben und Mädchen beim Fahren zu: Faistl arbeitet als Kinderpflegerin im Waldkindergarten Oberammergau, radelt den Weg jeden Tag – auf einem Reifen.
Damals aber, um 2012, war es Faistl, die in der Nachbarschaft Kinder beim Einradfahren beobachtete. Die damals 13-Jährige musste einfach ausprobieren, wie schwer das ist. Von einer Freundin lieh sie sich ein Rad, fuhr die Straße vor dem Haus auf und ab, stundenlang. Wurde es langsam dunkel, setzte sie die Stirnlampe auf. „Ich bin hundert Mal hingefallen.“ Sie stand immer wieder auf. Die blauen Flecken und Schürfwunden haben sie nicht interessiert.
Nach einer Woche konnte Faistl ein paar Meter fahren, dann schloss sie sich der Einrad-Abteilung des TSV Oberammergau an. Einen Winter lang trainierte sie in der Halle. Das taugte ihr nicht, im Frühjahr übte sie wieder draußen.
Das Einrad auf die Schulter - und "Hauptsache nauf"
2015 kauft sie sich das schwarze Einrad beim Alpen Cup, 24-Zoll. Das 20-Zoll-Rad der Freundin war für ihre Größe von 1,83 Metern einfach zu klein. 2018 bestellt sie ihr neues Modell, ganz nach ihrem Geschmack. 27,5 Zoll, Metallic-Blau, mit Bremse unter dem Sattel und den dicksten Reifen, die angeboten wurden. Damit kann sie schneller fahren – und es wiegt weniger.
Geringes Gewicht ist wichtig für Faistls Touren. Aus „Hauptsache raus“ wurde längst „Hauptsache raus, hauptsache nauf“. Wird's bergauf zu steil oder uneben, packt sie das Einrad auf die Schulter, schleppt es zum Gipfel. Mit der Schutzausrüstung – Ellenbogen- und Knieschoner sowie Helm –, dem Erste-Hilfe-Set und Brotzeit kommen da schnell zehn Kilo an Gepäck zusammen.
Das Gefühl, dass sie es schafft, alles selbst auf den Berg zu tragen. Das Gefühl, fit zu bleiben – auch das treibt sie an. Und natürlich die Vorfreude aufs Runterfahren.
Mittlerweile sitzt sie so sicher auf dem Rad, dass sie mit nahezu jedem Untergrund zurechtkommt – sei es Lehm, Kies, Schnee oder Waldboden, selbst durch kleine Bäche fährt sie. Oder springt über Wurzeln, nimmt enge Kurven. Immer konzentriert, nie zu rasant. Um das Gleichgewicht zu halten, muss der Schwerpunkt genau über dem Reifen liegen – eine Herausforderung mit Rucksack. Und überhaupt: „Schnell zu sein, ist nicht mein Ziel.“ Sondern, etwas zu erleben.
1100 Höhenmeter von der Notkarspitze - da brennen die Oberschenkel
Faistl kann viele Geschichten erzählen. Besonders in Erinnerung blieb ihr ein Ausflug auf „die Not“, wie sie als Einheimische die Notkarspitze nennt. Zuvor hatte Faistl ihr Rad noch nicht dort hinaufgetragen. „Vor dem Berg habe ich Respekt, der ist Wahnsinn.“ Trotzdem wollte sie es probieren.
In den frühen Morgenstunden machte sie sich mit der Fotografin auf den Weg, um 10 Uhr standen sie auf dem Gipfel. Dann fuhr Faistl die über 1100 Höhenmeter hinunter. Im Tal haben die Oberschenkel „nur noch gebrannt“. Doch Faistl hat es genossen, war „wahnsinnig stolz“. Ob sie auch mutig ist – sie vermag es nicht zu beurteilen. „Keine Ahnung. Ich steig auf und fahr los.“
Einrad-Pauli: Attraktion am Strand, Lieblingstouren zu Hause
Auch zum Familienurlaub muss das Einrad mit. Im süditalienischen Gargano fuhr Faistl jeden Morgen fünf, sechs Kilometer am Strand entlang, um Croissants zu holen. Vorbei an Joggern und Hundebesitzern. „Die haben nur mit dem Kopf geschüttelt“, sagt sie und grinst. Selbst nach Fuerteventura schaffte es das Rad. Faistl ließ die Luft aus dem Reifen, packte die Felge in den Koffer und stopfte ihre Kleidung drumherum. Der Dame am Schalter fiel das „Zirkusrad“ gleich auf – aber es durfte mit. Ein Glück.
Am liebsten ist Faistl trotzdem in den Bergen ihrer Heimat im Landkreis Garmisch-Partenkirchen unterwegs, rund um Oberammergau mag sie den Aufacker besonders. Keine Hütte, kein Lift, wenig Leute.
Einrad-Abfahrt vom Wank mit Ratsch am Gschwandtnerbauern
Das kann man vom Wank in Garmisch-Partenkirchen nicht behaupten – eine Tour dorthin hat Faistl trotzdem sehr genossen. Runter ging's über den Gschwandtnerbauern. Vor einem Hof saß eine ältere Frau auf einer Bank. „Du schaugst aus, als bräuchtest du dringend einen Kaffee“, hat sie gesagt. Faistl hockte sich dazu. Fast eine halbe Stunde haben sie geratscht.
Auch deshalb startet die Oberammergauerin gerne allein in die Berge – so kommt sie mit Menschen ins Gespräch. Den Kontakt suchen meist die anderen. Sie interessieren sich dafür, was die junge Frau da macht. Faistl bleibt gern für sie stehen.
Manch einer fragt sie, warum sie allein unterwegs ist. Ist sie gar nicht, sagt sie dann. Sie hat ja ihr Einrad dabei. Manche Wanderer ärgert genau das. Sie schimpfen, dass sie mit ihrem Reifen den Boden zerstöre – wie die Mountainbiker. Faistl hat sich da ein dickes Fell zugelegt. „Wenn mir jemand blöd kommt, dann rede ich blöd zurück.“ Das Einradfahren hat die Anfang 20-Jährige selbstbewusst gemacht. „Ich merke, dass ich immer mehr kann, immer mehr schaffe."
Aus den Bergwelten im Herbst 2019
TOUREN-TIPP: AUFACKER
- Lage: Ammergebirge
- Ausgangspunkt: Oberammergau, Parkplatz Wellenberg
- Höhenmeter: 670
- Gehzeit: ca. 2 Std.
- Schwierigkeit: leichte Wanderung
- Einrad-Pauli über den Aufacker: "Er ist einer meiner Lieblingsgipfel in den Ammergauer Alpen. Denn man genießt eine gigantische Aussicht, unterschiedliche Wetterlagen machen sie noch spannender und einzigartiger. Zudem ist auf dem Aufacker nie viel los, da es keine Hütte und keine Seilbahn gibt."