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Zahnradbahn auf die Zugspitze: Alt, laut, zu behandeln wie eine Frau

1930 hielt die erste Zahnradbahn unterhalb der Zugspitze. Die Originallok fährt noch heute. Eine eigenwillige Dame, sagt Alexander Wagner.

I von Katharina Bromberger


Die beiden sind aufeinander eingespielt, verstehen sich blind, hängen aneinander. Wie in einer perfekten Beziehung. Das liegt vielleicht auch daran, dass Alexander Wagner verstanden hat: Er muss seine „alte Dame“ behandeln wie – eben – eine Frau: Gut zuhören muss er ihr, darf sie nicht überfordern, muss ihr aber manchmal schon auch sagen, wo’s lang geht. „Nur dann wirst Du ihr guter Freund. Sonst macht sie mit Dir, was sie will.“ 

Lok 11 der Zugspitzbahn: Sie hat 1930 die Bergstrecke eröffnet. Heute steht sie im Deutschen Museum. © Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG 

 

Alexander Wagner steht vor den modernen Triebwagen im vorderen Bereich der Betriebswerkstatt in der Gumpenau in Grainau. Doch hier hält es ihn nicht. Er treibt voran. Da hinten, da steht seine alte Zahnrad-Dame, da ist seine Welt. Eine, an der Hightech vorbeigegangen ist: Lok 14. Erbaut 1929. Top in Schuss.


Wagner mag's, wenn's scheppert und kracht auf dem Weg Richtung Zugspitze


Von den acht Triebwagen, die tausende Personen im Jahr von Garmisch über Grainau und den Eibsee aufs Zugspitzplatt befördern, stammen die ältesten aus den späten 1970er Jahren, die modernsten von 2006. Das ist Wagner „viel zu neu“. Er mag‘s, „wenn’s scheppert und kracht“. Auch wenn er mit seiner Lok immer dieselbe Strecke fährt, Grainau-Zugspitzplatt-Grainau – „langweilig ist das nie“. Wagner lächelt zufrieden. Dabei sieht er von der Strecke doch gar nichts.

Vollgas heißt: Bei 15 Kilometern pro Stunde ist Schluss.


Der Werkstattmeister und Ausbilder springt in seine Lok. Jede Menge Messgeräte und Anzeigen sowie das gesamte Innenleben hat er vor sich. Nur kein Fenster. Zumindest nicht in Fahrtrichtung. Seine Augen sitzen im Personenwagen und kommunizieren mit ihm via Klingelzeichen: Läutet sein Zugführer einmal, muss Wagner langsam fahren. Dreimal bedeutet stehen bleiben. Schrillt’s zweimal, „kann ich zufahren“ – Vollgas.


Vollgas Richtung Eibsee - mit 15 Stundenkilometern


Zum Beispiel von Grainau zum Eibsee. „Da lass ich’s ordentlich krachen, da fahr ich bis Anschlag.“ Lachend deutet Wagner auf den Tacho. Bei 15 ist Schluss. Den Berg, wo Steigungen von bis zu 25 Prozent bewältigt werden müssen, schnauft sich die Lok mit neun – 20 schafft ein moderner Triebwagen – Kilometern pro Stunde hinauf. „Aber Krach macht sie für 50.“ Ohne Gehörschutz tritt Wagner keine Fahrt an.


Unerlässliche Begleiter sind sein Bauch beziehungsweise seine Hüfte. Seine Lieblingspose beim Bergauffahren in der Zahnradbahn: Er lehnt seitlich am Fenster, eine Hand am Fahrschalter, der Blick nach oben. Ein Rütteln, ein Ächzen: An seinem Körper, der die Lok berührt, spürt Wagner sofort, wenn etwas nicht stimmt, wenn sich seine 27,5-Tonnen-Lady mit ihren 600 PS hart tut oder sie sich schlecht behandelt fühlt.

Sein Revier: Alexander Wagner in seiner alten Dame, der Lok 14.


Besonders empfindlich ist sie beim Anfahren. „Da verzeiht sie keine Fehler.“ Die Stromzufuhr muss genau zum Schalten passen. Wenn nicht – „macht’s ein ganz schiaches Geräusch“ und die Kontakte brennen durch. Wagner weiß dann freilich, was zu tun ist. Ersatzteile allerdings gibt es für die zwei alten Loks – weltweit die einzigen Exemplare ihrer Art – keine mehr. „Die fertigen wir alle selbst.“


Als Eisenbahner geboren, aber S-Bahn und der Stress: "Überhaupt nicht meins"


Schon als kleiner Bub wollte Wagner Lokführer werden. „Eisenbahner“, sagt er, „kannst Du nicht werden, dazu bist Du geboren.“ Das ist er.


Quasi als Grundausbildung lernte der Garmisch-Partenkirchner das Schlosserhandwerk, fing dann bei der Deutschen Bahn in München an. Aber dieses S-Bahn-Fahren – „überhaupt nicht meins“. Dieser Stress, wenn man mal nur eine halbe Minute zu spät kam… Wagner schüttelt nur den Kopf. Durch Zufall kam er 1986 zur Bayerischen Zugspitzbahn. Lok Nummer 11 hat er damals übernommen.


Diese Lok, Baujahr 1929, schnauft sich damals als Erste hinauf. Die Strecke, die vor ihr noch niemand gefahren ist. Die bis zu 2500 Männer oft bei Kälte, Sturm und Schnee gebaut haben. Für die zehn Männer ihr Leben verloren. Die Strecke und mit ihr die Bahn, die als Meilenstein und technische Meisterleistung in die Geschichte eingehen werden.

Geschichtssträchtig: die Nostalgiefahrten auf die Zugspitze, hier mit Blick auf den Eibsee. © Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG


An diesem 8. Juli 1930 wird die Zahnradbahn Zugspitze gefeiert. Mit der Eröffnungsfahrt vom Tal bis zur Station Schneeferner. Geladene Gäste kommen mit einem Sonderzug der Reichsbahn aus München. Hunderte bestimmt, das zeigen Bilder. Wie viele genau anreisten, ist bei der Bayerischen Zugspitzbahn nicht dokumentiert. Ein „richtiges Großereignis“ aber war es auf jeden Fall, sagt Verena Lothes, Sprecherin der BZB.


Als quasi normale Bahn fährt sie siebeneinhalb Kilometer dahin, ab dem Eibsee legt sie 11,5 Kilometer bergauf bis zum Sonnalpin auf knapp 2600 Metern Höhe zurück. Bei der Eröffnung vor 90 Jahren stiegen die Besucher noch am ehemaligen Hotel Schneefernerhaus aus. Seit 1985 führt ein Abzweig – der Rosi-Tunnel, benannt nach Rosi Mittermaier – ins Skigebiet am Zugspitzplatt.


Mit dem Presslufthammer durch den Berg


Vor dem Baustart der Strecke musste das Zugspitzmassiv exakt vermessen werden. Daraus ergaben sich massive Herausforderungen: Das untere Tunnelportal am Riffelriss und den Bahnhof am Schneefernerhaus trennen nur zwei Kilometer Luftlinie. Und 1010 Meter Höhenunterschied. Steiler als 25 Prozent durfte die Strecke nicht werden. Das hieß: mindestens vier Kilometer Tunnel, der in einer weiten Schleife durch den Berg führen musste.

Auf die Zugspitze wie anno dazumal: Nostalgiefahrten bietet die Bayerische Zugspitzbahn an. 


Ab und zu haben die Männer den Fels gesprengt, viele Meter kämpften sie sich mit dem Presslufthammer voran. Vier bis sechs Meter schafften sie pro Tag. So entstand in nur zwei Jahren Bauzeit und für 22 Millionen Reichsmark eines der „kühnsten Bahnprojekte im Alpenraum“, das einen „weiteren Wendepunkt in der regionalen Tourismusgeschichte“ markierte, heißt es seitens der BZB, die 1928 gegründet wurde.


Originalloks 14 und 15 im Einsatz, Nummer 11 im Deutschen Museum


Nach wie vor sind vier Originalloks im Einsatz: Nummer 1 und 4 fürs Tal, Nummer 14 und 15 für den Berg. Sie bleiben unverzichtbar für Gütertransporte. Alles, was auf der Zugspitze benötigt wird – ob wie Material für den Neubau der Rekord-Eibsee-Seilbahn, Pistenraupen, Lebensmittel oder Treibstoff – transportieren die Loks. 


1980 haben sie letztmals im regulären Betrieb Personen befördert. Nostalgiker aber kommen auf die historische Art aufs Zugspitzplatt: Die BZB bietet seit 2005 regelmäßig im Sommer historische Fahrten mit der Lok an.


Eine Originallok am Rathausplatz, eine vor dem Deutschen Museum


Eine Tallok lässt sich seit Jahren am Rathausplatz in Garmisch-Partenkirchen bewundern, eine weitere vor dem Deutschen Museum in München. Dort steht auch, frisch restauriert, die Nummer 11. Jene Berglok, die die Premierenfahrt vor 90 Jahren meisterte. Und um die sich Alexander Wagner anfangs gekümmert hat.


Heute steht er nur noch für besondere Einsätze im Führerhaus. Jede einzelne Fahrt genießt er in vollen Zügen. In seiner 14-er Lok, seiner betagten Dame. „Sie ist alt, laut, langsam. Und unverzichtbar.“ Zumindest Letzteres gilt für Frauen auch.


Aus den Bergwelten im Herbst 2015.