Schnee im Bett, sporadisch Internet, wacklige Wände. Martina Simon und Max Gröbl lieben's, ihr Leben im Wankhaus über Garmisch-Partenkirchen.
I von Andreas Mayr
Oben auf dem Wank spielen sie nicht Lotto. Wie soll das auch gehen? Tipps per Hubschrauber hin- und herschicken? Sie haben ja nicht einmal eine Zeitung. Mit ganz viel Glück, wenn ein Bekannter zufällig daran denkt, marschiert der Kreisbote mit auf den Wank. Aber dann meistens die Ausgabe der Vorwoche. Martina Simon und Max Gröbl, die Herren der Hütte, hören Radio U1 Tirol, „den U1“, wie man sagt. „Das Beste, was es gibt“, schwärmt Max Gröbl, 54. Die „großen Glotzer“ waren sie nie. Natürlich gibt es einen Fernseher, auch eine Internetverbindung, aber die funktioniert so sprunghaft, da würde jeder Jugendliche verzweifeln, weil er die Welt nicht im Minutentakt mit seinen schönen Bildern vom Wank auf Instagram oder Snapchat beglücken könnte.
Ein Leben im Wankhaus ist nichts für die Normalen. Auch wenn die Wirtsleute von vielen hören, wie gerne sie doch tauschen würden. Bekannte haben’s durchgezogen. Eine Woche Wank mit allem. Service, Spülen, Putzen. „Die waren fertig“, sagt Martina Simon. „Als Gast schaut es immer gut aus.“ Seine Augen sind mit einem Schönheitsfilter überzogen, der die harte Arbeit und den Ärger ausblendet.
Der Wank über Garmisch-Partenkirchen: Witzig und kurios für Amerikaner
Eine besondere Liebe haben die Amerikaner für den Wank entwickelt, was dann weniger mit dem Berg und rein gar nichts mit der Hütte und ihren Betreibern zu tun hat, sondern mit ihrer Sprache. Das Verb „wank“ im Englischen – ausgesprochen in etwa „wänk“ – bedeutet so viel wie wich***. Sie verstehen nicht ganz, wie ein Ort mit so einer ungezogenen Sache werben kann. Auf Plakaten steht groß „Wank mal wieder“. Manch Gast aus den Staaten, als die noch verreisen durften, hat sich neben solchen Anzeigen ablichten lassen und Freunde in der Heimat benachrichtigt. Finden sie köstlich, kurios und witzig.
Das Leben auf dem Wank ist, nüchtern betrachtet, gar nicht so lustig. In kalten Nächten stapelt sich im Winter der Schnee auf der Bettdecke, zehn Zentimeter hoch. Ab und an rüttelt der Wind mit 180 Sachen an der Hütte. Das fühlt sich an, als stürze sie jederzeit ein. Und niemand möchte dafür bürgen, dass das nicht irgendwann passiert. Es ist schließlich 109 Jahre alt und gehört saniert.
Das Wankhaus: ein Duschklo, Schnee im Bett - "Wir mögen das so"
Für die dringenden Bedürfnisse des Menschen hat man ein Duschklo montiert. „Luxus ist das nicht“, sagt Max Gröbl. Aber: „Das ist eine Hütte, keine Villa. Wir mögen das so, wir kommen zurecht.“ Dekadenz hat am Berg nichts verloren. Mit einer Ausnahme.
Hinter dem Haus steht ein Pool aus Plastik. Im Oktober, in den ersten kalten Nächten, überzieht eine Schicht aus Eis das Schwimmbecken, die nicht dicker ist als eine Eierschale. Im November können das auch einmal mehrere Zentimeter sein. Martina Simon klopft dann mit dem Besenstiel Löcher in die Decke, steigt in das Eiswasser. „Danach bist du absolut fit“, sagt die Pächterin, 55 Jahre alt.
Wankhaus: Nur das Meer und das Eishockey fehlen ein bisschen
Ohne ihren Pool, vermutlich das höchst-gelegene Schwimmbecken Deutschlands, „bin ich nicht glücklich“. Wenn ihr etwas abgeht auf dem Wank, dann das Wasser. Ein See. Das Meer. „Ich liebe das Meer“, sagt sie. Früher ist sie jedes Jahr einmal an die Küste gefahren.
Früher, gemeint ist die Zeit vor 2016, hat sie ein relativ normales Leben gelebt. Sie hat drei Kinder groß gezogen, als Zahnarzthelferin gearbeitet und im Winter in der Skischule das Taschengeld aufgestockt. Im Krankenhaus hat sie den Grobi kennen gelernt, da kam bei beiden eine Tochter zur Welt. Aber da hat natürlich keiner damit rechnen können, dass sie einmal gemeinsam auf dem Wank wohnen würden.
Den Spitznamen Grobi haben ihm die Eishockey-Spezln in der Jugend verpasst. Er war kein schlechter Hackler, Deutscher Meister mit den Junioren beim SC Riessersee. „Hör doch mit den G’schichten auf“, sagt er. Aber er hat gerne Eishockey gespielt. „Das fehlt mir ein bissl.“ Gesundheitlich geht’s nicht mehr. Außerdem ist er 365 Tage im Jahr auf dem Wank. Dort mag man zwar im hauseigenen Pool schwimmen können, aber eine Eisfläche haben sie oben, etwa 1780 Meter über dem Meer, noch nicht aufbereitet.
Hüttenwirtin Martina Simon: Auf der Esterbergalm aufgewachsen
Voriges Jahr stiegen die SCR-Profis den Wank hinauf und nannten es Konditionseinheit. Der Klub hat Max Gröbl nicht vergessen, auch wenn sein Spielplatz seit beinahe 30 Jahren nicht mehr das Eis sondern die Berge und ihre Hütten sind. Vielleicht erklärt das, warum das Paar nicht lange gegrübelt hat, als der Alpenverein 2016 fragte, ob die beiden übernehmen wollen. „Wenn man den Berg kennt, weiß man, was einen erwartet“, sagt Martina Simon. Sie kennt ihn besser als die anderen.
Martina Simon wuchs am Esterberg auf. Ihre Eltern, Partenkirchner seit vielen Generationen, kümmerten sich 30 Jahre als Hüttenwarte um die Skiclubhütte. „Du magst nicht mehr weg. Der Wank ist der schönste Berg“, sagt die Wirtin. Ihr Verständnis für den Berg, vor allem für diesen, dürfte in etwa so wichtig sein wie gastronomische Erfahrung, die ihr Lebensgefährte mitbringt. Kochen hat ihm die Oma beigebracht. Da war er noch jung. Seine Eltern führten die Gröbl-Alm in Graswang. „Irgendwie hatt’ ich das im Blut“, witzelt er.
Der Start im Wankhaus: "Drum für Drum" im Rucksack nach oben geschleppt
Am ersten Tag im Wankhaus vor über vier Jahren stieg Martina Simon, geknechtet von einem Riesen-Rucksack, alleine hinauf zum Alois-Huber-Haus. Den Beinamen hat die Hütte nach dem Tod des Mit-Erbauers erhalten. Sie schleppte das Nötigste, Kleidung, Schuhe, diese Dinge. Beim zweiten, dritten, vierten Gang nahm sie Messer, Gabel, Teller, Gläser mit. „Drum für Drum.“ Der Vorpächter hatte nur ein paar alte Gläser und Teller zurückgelassen.
Beim Umzug auf den Berg fährt der Möbelwagen nicht direkt vor die Türe. Den massiven Stammtisch aus Ulme, 275 Kilogramm samt Bänken, hob ein Hubschrauber auf die Terrasse. „Unvergesslich“, sagt Max Gröbl. Sein Großvater hat ihm das edle Stück Holz in der Jugend geschenkt, sein Cousin verarbeitete es. Nach dem Lufttransport tranken alle ein paar Halbe Bier an dem neuen Tisch. Die Besatzung blieb auch, verzichtete allerdings aufs Bier. Wer fliegt, trinkt nichts. Im Flugverkehr gilt Alkoholverbot.
Was der Helikopter vergisst, tragen Freunde - Wankbahn bringt den Proviant
850 Kilo an Fässern, Trageln, Holz oder Lebensmittel packt die Maschine. Vom Sammelplatz zum eigenen Landeplatz am Gipfel fliegt sie in sechs Minuten. Immer pünktlich. „Perfektion pur“, sagt er über die Familie Wucher, die den Helikopter lenkt. „Ein genialer Betrieb.“
Was der Helikopter vergisst, tragen Freunde und Bekannte. Im Sommer befördert die Zugspitzbahn, die die Bergbahn am Wank betreibt, den Proviant. Ohne ihre Hilfe „wäre es brutal“, sagt Max Gröbl. Dafür schauen die Wirtsleute im Winter nach dem Rechten. Man hilft sich gegenseitig.
Einmal hat sich ihr Kater Apahachi in der Sonnenalm verlaufen und eingesperrt. Martina Simon fand ihn, abgemagert und zerzaust nach drei Tagen Gefangenschaft. Gott sei Dank hatte ihr die Zugspitzbahn den Schlüssel für die Anlage überlassen. Apahachi nahm schnell wieder zu. Wegen der Mäuseplage hatte ihn das Wirtspaar angeschafft. Was soll man sagen, „seitdem haben wir keine Mäuse mehr“, sagt der Graswanger.
Kater Apahachi, die Hunde Bella und Mika: Die drei Freunde vom Wankhaus
Apahachi versteht sich gut mit Schäferhund Mika und dem Appenzeller-Mischling Bella. An seinem ersten Arbeitstag ließ sich der Kater von der Mika durch die Hütte schleifen. Auch wenn das zunächst wenig freundschaftlich aussah, wie der große Hund die kleine Katze mit den Zähnen packte, das war der Beginn ihrer Freundschaft.
Voriges Jahr schaute gerne einmal ein Hirsch oder eine Hirschkuh zum Fenster hinein. Aber das Wild ist verschwunden. Seit Monaten haben sie kein Tier gesehen. „Ich sage, das ist erst der Anfang“, prophezeit Max Gröbl. Heuer, im Corona-Jahr, habe die Natur gewaltig gelitten.
Touristen auf dem Wank: Die Unvernunft wandert mit – und Schlimmeres
Im Mai strömten die Menschen in die Berge, als wäre ein Staudamm gebrochen. Mit der Masse, sagt Max Gröbl, sind sie am Wankhaus nicht mehr fertig geworden. Wobei man den Ansturm noch irgendwie verkraften könnte, wenn sich jeder an die Spielregeln am Berg halten würde.
Bei einigen, das haben die Wirte beobachtet, wandert die Unvernunft mit. Ganz schlimm sind die Fotos mit den Tieren, die auf einmal jeder haben will – nur halt die Kühe und Ochsen nicht.
Andere zerren alles, was sich als Sitzgelegenheit nutzen lässt, auf die Wiesen. Auch die Tische und Bänke vom Wankhaus, die gerade nicht gebraucht werden, weil die Plätze wegen Corona von 220 auf 110 geschrumpft sind.
Renitente Touristen: Müll landet im Wald, statt in einem der 34 Tonnen
Die Wirtsleute haben auch schon Wanderer erlebt, die ihren Alpenvereins-Ausweis zückten und ein Essen verlangten, obwohl sich die Gastronomie im Lockdown befand. Viele entsorgen ihren Müll im Wald, als existierten die 34 Mülleimer im Gipfelgebiet nicht. „Es gibt keine Grenzen mehr“, klagt Max Gröbl. Manche klärt er freundlich auf, den Renitenten sagt er: „Haut ab.“
Grantler nennt man ihn. Wer einen Tag mit den beiden auf der Hütte verbracht hat, versteht den Grant. Befreundete Polizisten sahen sich das Live-Theater einmal in zivil an. „Die haben sich gewundert, dass da oben noch nie was passiert ist.“ Die Rücksichtslosigkeit mancher gehe fürchterlich auf die Nerven, sagt Martina Simon. Sogar ihr Partner, der seit drei Jahrzehnten auf Hütten wohnt, sagt mittlerweile: „Es gibt Tage, da habe ich keinen Bock mehr.“
Das Schönste am Wank: Einsame Weihnachten und die Sonnenuntergänge
Der legendäre Vogl-Schorsch, ihr Vor-Vor-Gänger, bewirtschaftete das Wankhaus drei Jahrzehnte. „Ich weiß nicht, ob man heutzutage 30 Jahre durchhält“, sagt Max Gröbl. 2026 wird er 60. Danach müsse man sich überlegen, wie es weitergeht. „Ewig macht man das nicht.“ Im Grunde fehlt ihm dort oben nichts. Nur die Ruhe. Deshalb mögen die beiden Weihnachten so gerne. „Wir haben immer einsame Weihnachten“, sagt Martina Simon. Bei ihr klingt das nach etwas Erstrebenswertem. Die Familie steigt an Heiligabend auf. „Das ist schöner als drunten“, sagt Max Gröbl.
Das Wirtepaar kann froh sein, dass die Zugspitzbahn das Skigebiet auf dem Wank geschlossen hat. Sonst müsste es mittlerweile womöglich auch noch Après Ski aushalten. Früher galt die alte Skipiste als Berg der Einheimischen. „Da konntest alleine rauffahren, weil du immer wen getroffen hast“, sagt Max Gröbl. Wenn man ehrlich ist und wirtschaftlich denkt, macht Skibetrieb auf dem Wank keinen Sinn. Er wurde 2004 eingestellt.
Das Leben auf dem Wank: „Das Gefühl ist noch genauso“
Ansonsten habe sich der Berg nicht verändert. „Das Gefühl ist noch genauso“, sagt Martina Simon. „Eher noch intensiver“, ergänzt ihr Partner. Abends nach dem Sonnenuntergang sitzen sie manchmal stundenlang auf der Terrasse, schauen dem Naturtheater zu, das den Himmel in alle erdenklichen Rot- und Gelbtöne färbt. Locker 5000 Fotos haben sie von diesem Schauspiel geschossen, das nie gleich ausschaut.
Im Winter hocken sie in der Stube bei einem Glas Weißwein, roten trinken sie nicht. Sie würfeln und karteln, Watten oder Rommé. Besondere Siege notiert man auf den Holzscheiten neben dem Stammtisch. Holz ist auf dem Wank wie Gold. „Unbezahlbar“, sagt Max Gröbl. Beinahe jeden Baum schlagen sie selbst. An die 70 Ster verheizen sie im Jahr. In milden Wintern weniger. Spätestens um neun Uhr abends schlafen sie, weil sie am nächsten Morgen mit der Sonne aufwachen und Arbeit ruft. Auf dem Wank, da gibt’s keine Ruhe.
TOUR AUF DEN WANK
Es gibt viele verschiedene Wege auf den Wank. Auch mit Skiern im Winter. Am häufigsten wird er wohl zu Fuß begangen - vielleicht auch mit Unterstützung der Bahn. Hier einfach mal eine Variante. Viel Spaß!
- Lage: im Südwesten des Estergebirges
- Verlauf: Vom Parkplatz „Am Gipsbruch“ links aufwärts in den Wankweg. Die Beschilderung führt über den Josefsbichl, durch eine Bachschlucht zur Tannen- und weiter zur Eckenhütte. Durch den Bergwald hinauf zum Wank.
- Ausgangspunkte: Partenkirchner Parkplatz „Am Gipsbruch“ oder Wankbahn-Talstation (von dort kann man auch zu Fuß losmarschieren)
- Abkürzung: Mit der Seilbahn zur Mittelstation. Von dort erreicht man den Aufstiegsweg oberhalb der Eckenhütte. Dauer: ca. 2 Stunden, 620 Höhenmeter.
- Höhenmeter: 1040 (ohne Bahnunterstützung)
- Gehzeit: ca. 3,5 Std.
- Schwierigkeit: leichte Bergwanderung
1 Kommentar Neues Kommentar hinzufügen
Kommentare sind geschlossen.