Berge & Schauplätze Bergwelten

Berg-Tour für Entschleunigung: In drei Tagen auf die Zugspitze

Auf die Zugspitze ​gehen Tausende. ​Wenige ​wie diese ​Freunde: in drei Tagen auf den Gipfel, zu Fuß ins Tal. Die Belohnung: Ruhe am Berg. Und irgendwann Wadel wie Herry.

I von ​Katharina Bromberger


Herry dreht sich um, schaut. „Weisch“, sagt er in seinem Allgäuer Dialekt. „Ich muss immer schauen, auch mal stehen bleiben, zurückschauen. Das ist wichtig.“ Recht hat er. Vor allem: Es lohnt sich. Bei der Mehrtagestour durch das Wettersteingebirge mit dem Ziel Zugspitze gibt es viel zu sehen und zu bestaunen. Und es gibt Zeit, einfach mal zu genießen.


Von ihrer Heimat im Allgäu aus sehen die Brüder Bruno und Herry Schmid einige Gipfel der Allgäuer und Ammertaler Alpen. Darunter so bekannte wie den Säuling, aber auch solche, über die sie erst einmal Nachforschungen anstellen mussten, um die Namen der Buckel herauszufinden. Das mussten Bruno und Herry schließlich wissen, wollten sie doch jeden einzelnen dieser Gipfel einmal besteigen.

Noch einmal konzentrieren: die letzten Meter bis zur Zugspitze. © Bromberger


Vor etwa 20 Jahren haben sie das ausgemacht. Und jedes Jahr haken sie mindestens einen auf ihrer Liste ab. Jetzt stehen sie gemeinsam mit vier Freunden tatsächlich auf dem wohl berühmtesten Gipfel hoch über Grainau und Garmisch-Partenkirchen: der Zugspitze. Bruno kann sie, das einzige Ziel im Wettersteingebirge, von seinem Balkon aus sehen.


Ziel Zugspitze, danach Sonnenuntergang am Berg


Bruno hat die Tour organisiert und dazu seinen Bruder sowie seine Spezl Heinz Egger, Heinz Merten, Thomas Kosch und Dirk Spengler zusammengetrommelt. Und nachdem gerade die beiden Heinzen und Thomas normalerweise die Berge auf dem Bike erkunden, „wollte ich mal was Neues einbringen“. Und die Zugspitze wollte er ohnehin unbedingt einmal besteigen. „Alleine aber hätte ich mir das nicht zugetraut.“

Eine gute Truppe auf dem Weg zur Zugspitze: die sechs Freunde um Organisator Bruno (3.v.l.), seinen Bruder Herry (2.v.l.) und Hans Herbig von der Bergschule aus Ohlstadt. © Bromberger


Bei Hans Herbig von der Bergschule „Die Bergführer“ in Ohlstadt sind die sechs da bestens aufgehoben. Viele Male hat er die Tour von Garmisch-Partenkirchen durch die Höllentalklamm, über die Kreuzeck- zur Reintalangerhütte, auf die Zugspitze und zurück ins Tal schon geführt. Und er geht sie immer wieder gerne. Auch wegen der Entschleunigung.


Die meisten Kunden wählen den direkten Weg vom Tal über die Reintalangerhütte auf die Zugspitze und fahren mit der Bahn ins Tal. Hans bedauert das ein wenig – weil ihnen allen etwas entgeht: Zum Beispiel die Möglichkeit, die Tour ohne Bahn und mit einem morgendlichen Abstieg über das Gatterl nach Ehrwald zu beenden. Und, am Abend zuvor, den Sonnenuntergang auf der Knorrhütte zu genießen. „Das muss man mal gemacht haben.“ Vor allem nach dem Massentourismus, der Bergsteiger auf der Zugspitze erwartet.

Bergwelten bieten beste Aussichten. Wer es nicht glaubt, erlebt es sicher auf dem Weg nahe der Knorrhütte. So wie die Freunde um Bergwanderführer Hans Herbig (l.). © Bromberger


Ziel Zugspitze: Gipfelglück trotz Massentourismus


Auch die sechs Wanderer aus Markt Oberdorf und Pfaffenhofen (Dirk) ziehen die Natur den Betonanlagen auf Deutschlands höchstem Berg vor. Das ändert nichts an ihrem Gipfelglück. Gerade Herry lacht, grinst, jubelt, fällt seinem Bruder um den Hals. Ohne ihn wäre er nicht hier.


„Er hat nicht direkt nein gesagt, also hab‘ ich ihn einfach angemeldet“, erzählt Bruno lachend. „Manche muss man eben zu ihrem Glück zwingen.“ Und das ist in diesem Moment riesengroß.

Zwei glückliche Brüder am Gipfel der Zugspitze: Bruno und Herry (r.). © Bromberger


„Mir geht’s sauguat“, ruft Herry. „Ich hab‘ ja auch eine Bärenkondition.“ Ironie schwingt mit, dabei stimmt’s. Nur hat er am Vortag noch nicht so recht an sich geglaubt. Hans Herbig dagegen wusste es ganz genau: Bei dieser Gruppe muss er sich keine Sorgen machen. Die sechs Männer sind nicht nur lustig, sondern auch konditionell gut drauf.


Die ersten beiden Tage brauchen sie das noch nicht unter Beweis zu stellen. Am ersten kommen sie allerdings auf ihrem Weg zum Kreuzeckhaus nicht recht voran. Das hat keine konditionellen Gründe, sondern fotomotivische. Die Höllentalklamm ist quasi ein einziges Fotomodel. So bietet schon die erste Etappe der Tour für „uns Flachländler“, wie Heinz Egger die bergerfahrene Gruppe einmal nennt, viel zu sehen.

Jeder Meter durch die Höllentalklamm ist beeindruckend. © Bromberger


Am zweiten Tag zur Reintalangerhütte „vernichten wir wieder alle Höhenmeter, die wir schon gegangen sind“, stellt Heinz fest. Es geht fast ausschließlich bergab.

Idyllisch geht es an der Partnach entlang Richtung Reintalangerhütte. © Bromberger


​Seltenes Ereignis: Berg-Ruhe und Einsamkeit auf dem Weg zur Zugspitze​


Doch jeder Schritt lohnt sich. Denn hier erleben Wanderer das, was so oft beschrieben und beschwärmt, doch nur noch selten erlebt wird: Einsamkeit und Ruhe. Hinzu kommt Postkartennatur an der Partnach entlang in Richtung Reintalangerhütte. Einsamkeit sucht man dort in den Schlaf- und Aufenthaltsräumen vergeblich; alleine ist man auf der Hütte in der (normalen und coronafreien) Hochsaison sicher nicht. Man muss reservieren.


​Draußen aber, in den Liegestühlen am Fluss, bekommt man ​vom Trubel nichts mit. Einer noch weniger als alle anderen: Herry.

Entspannung und ein wenig Sorge auf der Reintalangerhütte: Herry (l.) und Dirk. Nächster Tag ist Gipfeltag. © Bromberger


Er ist am Tag vor dem 1600-Höhenmeter-Marsch von der Reintalanger- über die Knorrhütte bis auf die Zugspitze damit beschäftigt, sich Sorgen zu machen. „Weisch“ – sein allgäuerisches „weißt du“ benutzt er oft – „ich will halt niemanden bremsen.“ Radtouren wie die anderen unternimmt er nicht. Abgesehen von den wenigen Wanderungen mit seinem Bruder „mach ich ja nix. Ich arbeite halt hart“.


Da aber ist der Landwirt den anderen – ausschließlich Schreibtischtäter – um Meilen voraus. Das wissen sie auch. Die schönsten Wadel, da fällt das Urteil einstimmig, hat Herry.

Die letzte Ettappe: Es gibt viel zu sehen auf dem Weg zur Zugspitze, hier Richtung Zugspitzplatt. © Bromberger


Die bringen ihn problemlos von Etappenziel zu Etappenziel. Die Luft reicht auch, um die Aussicht auf dem Weg dorthin zu genießen, mit dem einen oder anderen Wanderer zu ratschen und Hans zuzuhören, wenn er die umliegende Bergwelt oder die Pflanzenvielfalt erklärt. 


„Eigentlich“, sagt Herry irgendwann auf einem der Wanderpfade, „mach‘ ich ja lieber Wellness.“ Auf der Zugspitze hat er das schon wieder vergessen. Jetzt fehlen noch fünf Gipfel auf der Liste.


Aus den Bergwelten im Herbst 2014.

DIE MEHRTAGESTOUR: ​AUF DIE ZUGSPITZE & INS TAL

  • Lage: Wettersteingebirge
  • ​Ausgangspunkt:Garmisch-Partenkirchen, Parkplatz Alpspitzbahn
  • Gesamte Höhenmeter im Aufstieg: ​2940 hm
  • Gesamte Höhenmeter im Abstieg: ​2717 hm
  • Schwierigkeit: Mittel, ​Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich. Zum Teil gesicherte Passagen im Fels 
    • Tag 1: Vom Parkplatz an der Alpspitzbahn geht’s nach Hammersbach und von dort hinauf zur Höllentalklamm und weiter zur Höllentalangerhütte. Vorbei an den alten Molybdänminen zum Kreuzeckhaus.
      Gehzeit: ca. 4 Std. ▲ 890 hm
    • Tag 2: Unterhalb der Alpspitze entlang über den Bernadeinweg und hinab ins Reintal zur Bockhütte. An der Partnach entlang, vorbei an den ehemaligen Blauen Gumpen zur Reintalangerhütte mit kurzem abendlichen Ausflug zum Partnachursprung.
      Gehzeit: ca. 5 Std. ▲ 300 hm ▼ 650 hm
    • Tag 3: Am Morgen zunächst bis zur Knorrhütte, mit leichtem Gepäck weiter zum Zugspitzgipfel. Zurück zur Knorrhütte zur dritten Übernachtung.
      Gehzeit: ca. 7 Std. ▲ 1600 hm ▼ 914 hm
    • Tag 4: Heimweg über den Gatterlabstieg sowie Ehrwalder Alm nach Ehrwald. Mit dem Taxi zurück nach Garmisch-Partenkirchen .
      Gehzeit: ca. 6 Std. ▲ 150 hm ▼ 1150 hm