Das Bobdorf Ohlstadt - manche sprechen von einem Wunder. Auf jeden Fall ist es eine Bergwelten-Sportgeschichte mit herausragenden Titeln.
I von Katharina Bromberger
Eine Frage wurde den Ohlstädtern schon x-mal gestellt: Warum ausgerechnet Ohlstadt? Wie kommt’s, dass gerade dieses kleine Dorf mit seinen gut 3200 Einwohnern so viele erfolgreiche Bobfahrer und Rodler hervorbringt? Eine Antwort darauf hat noch keiner gefunden. „Eigentlich kennt niemand so genau das Erfolgsrezept Bobsport, wodurch der Ort so berühmt wurde“, sagt Stefan Gaisreiter. Als zweifacher Welt- und Europameister ist er einer der Bob-Enthusiasten, welche das „kleine Wunder Bobdorf Ohlstadt“, wie es einige stolz nennen, mit geschehen haben lassen.
Ein Blick in die Historie, die der Bob- und Rodelclub Ohlstadt zusammengestellt hat, zeigt: Auch die Einwohner selbst dürften mit ihrem Enthusiasmus zum Erfolg beigetragen haben.
Die Olympischen Spiele 1936 bringen den Bob-Virus nach Ohlstadt
Auf dem Weg Ohlstadts zu einer Weltmacht im Eiskanal hält der Bob- und Rodelclub, 2003 gegründet, um den Sport zu fördern und fortzuführen, das Jahr 1936 als Meilenstein fest: Die Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen bringen den Bobsport an den Riessersee und erfolgreiche Sportler in den Kreisort. Gerade die jungen Ohlstädter Burschen sind mit dem Bob-Virus infiziert: Sie messen sich in Schlittenfahrten und Vergleichskämpfen auf den Holzziehwegen von Ohlstadt und Eschenlohe.
Viel tut sich Anfang der 1950er Jahre. So entsteht die erste kleine Bobbahn des Ortes. Das ganze Dorf hilft zusammen, um Eis und Schneematsch in die im Sommer und Herbst vorbereitete Bahntrasse einzubauen. Aus dem Sägeweiher bei Schwaiganger werden Eisschollen ausgesägt und für die Bobfahrt in die Bahn gebaut. Die strengen Winter garantieren, dass sie auch lange hält.
Dr. Oetker sponsert 1953 den ersten Viererbob für Ohlstadt
Hubert Laber, der langjährige Vorsitzende des SV Ohlstadt, sucht und findet Gönner für den Bobsport. Back-Gigant Dr. Oetker beispielsweise sponsert 1953 den ersten Viererbob im Wert von 5000 D-Mark – kein Vergleich zu heute: Die hochtechnischen Geräte kosten weit über 50.000 Euro. Diese Spende legt den Grundstein für die erfolgreichste Zeit des Ohlstädter Bobsports.
Von 1954 bis 1989 gibt es fast kein internationales Rennen ohne Beteiligung aus dem kleinen Dorf im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Bis heute waren Ohlstädter Bobfahrer auf 23 Bahnen in 3 Kontinenten am Start und haben sich ins Buch der Bobsportgeschichte eingetragen.
Symbolfigur Franz Schelle: „Er hat uns Buam motiviert“
Der erste Ohlstädter Bob überhaupt aber kommt aus Garmisch-Partenkirchen: Franz Kemser schenkt ihn den Enthusiasten unter dem Heimgarten, und Franz Schelle gewinnt damit 1951 seinen ersten Bayerischen Meistertitel für den Ort: auf der Bobbahn am Riessersee.
Schelle gilt als wichtige Symbolfigur in der Ohlstädter Bobgeschichte. In den 1950er und 60er Jahren prägt er den Sport wie kaum ein anderer, wurde den jungen Burschen ein Vorbild. „Er hat uns Buam motiviert. Auch durch ihn sind wir überhaupt zum Bobsport gekommen“, erinnert sich Stefan Gaisreiter. Er weiß noch genau, wie er und viele Spezln als Kinder zu den Athleten aufgeschaut und mit ihnen mitgefiebert haben. Damals, 1962 bei den Weltmeisterschaften in Garmisch-Partenkirchen. Sie endeten mit kollektiver Begeisterung unter den damals 1500 Einwohnern: Schelle holt mit seinem Viererbob-Team Josef Sterff, Ludwig Siebert und Otto Göbl den Titel für Ohlstadt.
Olympia 1972 in Japan: Neun Aktive aus Ohlstadt, Zimmerer-Team holt Gold
Bald folgt die Ära das Zimmerer-Teams. 1968 erringen Wolfgang Zimmerer und Peter Utzschneider, die „Bobzwillinge“ Ohlstadts, den ersten Europameister-Titel. In Lake Placid (USA) gewinnt Zimmerer 1968 mit Walter Steinbauer, Stefan Gaisreiter und Utzschneider als jüngste Mannschaft den Vierer-Weltmeistertitel. Eugenio Monti, der mit elf WM-Titeln erfolgreichste Pilot, prophezeit: „Dieser Mannschaft gehört die Zukunft.“ Wie Recht er hat.
1972 holen Zimmerer und Utzschneider die Goldmedaille im Eiskanal von Sapporo, im Viererbob mit Gaisreiter und Steinbauer Bronze.
Eine weitere Bilanz begeistert: Bei diesen Winterspielen in Japan sind neun Aktive aus Ohlstadt am Start – zehn Prozent der bundesdeutschen Olympiamannschaft. Das ist olympischer Rekord. Etwa 10.000 Bobfans jubeln den Helden beim Empfang in der Heimat zu.
Unglück im Eiskanal von Cortina: Toni Pensberger stirbt mit 26 Jahren
Doch erlebt der Bobsport auch tragische Momente: 1966, bei der Bob-WM in Cortina d’Ampezzo, verunglückt der von Toni Pensberger gesteuerte Viererbob – der Ohlstädter stirbt im Alter von nur 26 Jahren. „Diese Bilder werde ich nie vergessen“, sagt Stefan Gaisreiter, der als junger Mann das Rennen im Fernseher verfolgte. „Der Bob ist über die Kurve hinausgeschossen.“
Ludwig Siebert überlebt schwer, Helmut Wurzer und Roland Eberhart werden leicht verletzt. „Das waren bittere Stunden für den Sport“, erinnert sich Gaisreiser. Dennoch: „An ein Aufhören haben wir nie gedacht.“ Seine große Zeit sollte noch kommen.
Die Natureisbahn verschwindet – die Begeisterung bleibt
Nach und nach verändert sich der Bobsport in Ohlstadt. Die Winter werden wärmer, die Bedingungen für den Sport unterm Heimgarten schlechter. Mit dem Bau der Kunsteisbahnen am Königssee 1968 und Winterberg 1977 verlagert sich das Geschehen in andere Gegenden. 1970 schießt der letzte Bob über den Ohlstädter Eiskanal. Die Natureisbahn verschwindet aus dem Ortsbild. Die Begeisterung aber bleibt. Auch dank Zimmerer und seinem Auftritt bei der Olympiade 1976 in Innsbruck.
Beim Einzug der Nationen trägt der Onkel der Skirennläuferinnen Susanne Riesch und Maria Höfl-Riesch für die bundesdeutsche Mannschaft die Fahne – und wird dieser Ehre mit seinem Doppelschlag mehr als gerecht: Ausnahmsweise mit Bremser Schumann holt er Silber im Zweierbob, zudem Bronze im Viererbob.
Zimmerer: Der erfolgreichste Vierer-Bobpilot aller Zeiten
1976 gilt generell als das erfolgreichste Jahr des Ohlstädter Bobsports. Bei der Europameisterschaft in St. Moritz stehen erstmals zwei Ohlstädter Viererbobs auf dem Stockerl. Gaisreiter gewinnt mit Hans Wagner, Walter Gillik und Donat Ertl vor Zimmerer, Utzschneider, Bodo Bittner und Schumann.
Das persönlich beste Jahr feiert Zimmerer bereits 1974, ebenfalls in St. Moritz. Die Bobzwillinge Zimmerer/Utzschneider schaffen im Zweier- und Viererbob das Double: Doppelweltmeister! Zimmer blickt auf einen beeindruckenden Rekord zurück: Zwischen 1969 und 1976 gewinnt er im Viererbob zwei WM-Titel, wird zweimal Vizeweltmeister und holt viermal WM-Bronze. Das macht ihn zum erfolgreichsten Vierer-Bobpiloten aller Zeiten.
Den bislang letzten großen internationalen Erfolg bringt Pilot Stefan Gaisreiter 1979 nach Ohlstadt: mit dem Weltmeistertitel im Viererbob.
Das Bobdorf Ohlstadt: Zum Teil liegt's an den Genen
1982 bauen die Ohlstädter eine Sommer-Anschubbahn. Sie wird bis heute für das Training genutzt. Denn in Ohlstadt spielt der Bobsport nach wie vor eine Rolle. Auch der Vorsitzende des Bob- und Rodelclubs Ohlstadt, Christoph Gaisreiter, hat beachtliche internationale Ergebnisse eingefahren: 2005 wurde er Doppel-Junioren-Weltmeister im Zweierbob mit Alex Mann und im Vierer mit Mann, Stephan Seeck und Matthias Adolf – damals alle Eigengewächse des Bob- und Rodelclubs Ohlstadt.
Mittlerweile hat Gaisreiter (34) seine Karriere beendet. Ebenso wie Franz Sagmeister (40), der ebenfalls zu den Ohlstädter Erfolgsreigen beigetragen hat: als Bremser für René Spies (BSC Winterberg). 2001 landete das Team bei der EM auf Rang drei, 2005 auf Platz zwei.
Zumindest in diesen Fällen gibt es übrigens eine Erklärung für das „kleine Wunder“ Bobdorf Ohlstadt: die Gene. Denn Christoph Gaisreiter hat mit Stefan Gaisreiter einen Weltmeister-Vater, Sagmeister einen Weltmeister-Onkel. Ansonsten aber, betont der Senior, „gibt es keine spektakulären Zusammenhänge“.
Aus den Bergwelten im Winter 2014