Hannes Neuner aus Garmisch-Partenkirchen erweckt als Schreiner alte Eichenbretter zu neuem Leben. Und er vergleicht seine Tische mit Lederhosen.
I von Katrin Kleinschmidt
Langsam streicht Hannes Neuner mit der Hand über die glänzende Oberfläche, mit dem Daumen fährt er eine der vielen Rillen nach. Er beugt sich leicht nach vorne, legt den Kopf schief, als könnte er in dieser Position noch etwas Neues entdecken, noch eine Besonderheit. Dabei kennt er jeden Millimeter dieses Tisches, jede Unebenheit, jeden Schlitz. Neuner, Schreiner aus Partenkirchen, hat ihn gebaut. 2012 spezialisierte er sich darauf, alte Eichenbretter zu neuen Tischen zu formen. Für Liebhaber, die den Wert des Einzelstücks schätzen.
Diesen einen, den gibt er nicht her. Sein erstes Exemplar, sein Premierentisch. Jeden Morgen zieht er das rund 130 Kilogramm schwere Stück mit einem Hubwagen heraus, stellt es vor sein Haus an der Badgasse in Garmisch-Partenkirchen. Wenn’s regnet, holt er es tagsüber rein – ansonsten ist der Tisch immer zu bewundern. Unbezahlbare Werbung.
Schreiner Hannes Neuner: Die Liebe zum Holz im Blut
Früher noch stellte Neuner alles Mögliche her – Schränke, Betten, klar, auch Tische. Was ein Schreiner eben so produziert. Die Liebe zum Holz hat der heutige Meister im Blut, vererbt vom Urgroßvater. Schon Georg Grasegger war Schreiner. Neuner hat noch alte Werkzeuge von ihm. „Da habe ich aber zum Teil alte Handwerker fragen müssen, wie die funktionieren.“
Die meisten der Geräte kann er nicht mehr gebrauchen, aber er hebt sie auf. Familiengeschichte. Die steckt auch in dem Gebäude an der Badgasse im Ortsteil Partenkirchen. Wo Neuner heute lebt und schreinert, da ist er auch aufgewachsen.
Gerade sitzt er draußen vor dem Haus, als eine Gruppe Touristen stehenbleibt und den Tisch anschaut. „Anfassen müsst ihr den“, sagt er und steht auf. Er liebt es, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ihnen das Prachtstück zu erklären. „Das ist ein Tisch für die Sinne, zum Sehen und Fühlen“, sagt der Schreiner dann. „Langt doch mal hin.“
Fragt einer nach dem Preis, kriegt er nicht nur eine Zahl hingeschmettert. Neuner betont auch: „Diese Tische verlieren nicht an Wert, sie steigern ihn über die Jahre. Das ist nicht wie bei einem Auto oder einer Einbauküche.“
Hannes Neuner nimmt nur Eiche mit Geschichte
Neuners Tische sind anders als jene, die es in Möbelhäusern zu kaufen gibt. Fast antik sehen sie aus. „Die sind wie eine Lederhose. Die ist auch erst schön, wenn sie alt ist.“
Die Ecken der Tische sind nicht im 90-Grad-Winkel, die Oberflächen nicht eben, die Seiten nicht wie mit dem Lineal gezogen – Neuner lässt sich die Form des Tisches von der Struktur der Bretter diktieren. Die haben oft schon einiges erlebt: Manch Eichenstück, das er verbaut, war zuvor Teil eines alten Hauses, das abgerissen wurde. Was andere als Brennholz missbrauchen würden, macht Neuner zu einem Tisch. Zuletzt verarbeitete der Garmisch-Partenkirchner Reste einer alten Mühle aus Kroatien.
Doch egal, woher sein Material auch kommt – immer ist es Eiche. Darauf schwört Neuner. „Das ist ein starkes Holz.“ Whiskey und Rotwein reifen darin, das Eichenblatt fand den Weg auf so manches Wappen.
Vier bis fünf Bretter braucht der Schreiner allein für die Tischplatte. Die richtigen zu kombinieren, ist nicht einfach. Die Farbe muss stimmen, die Struktur soll passen. Neuner ist genau, er legt ein Brett nach dem anderen nebeneinander. Tauscht eines aus, versucht’s mit dem nächsten. Wenn er die alle beisammen hat, fängt die Arbeit aber erst an.
Viele Stunden, eigentlich Tage, oft sind es Wochen. Zuschneiden, verleimen, vorsichtig die Oberfläche bearbeiten. An keiner Stelle soll sich der neue Besitzer schneiden können. Kanten werden abgerundet, Risse säuberlich ausgearbeitet, Hohlstellen beseitigt. Gehobelt wird nichts, Neuner will die Grundstruktur erhalten. Eines muss der Tisch natürlich trotzdem sein: praktisch. Und robust.
Hannes Neuners Werk: Ein Tisch, an dem das Leben tobt
„Der hält was aus“, sagt Neuner. Manches Mal macht er mit dem Messer einen Schnitt auf die Oberfläche, um seiner Aussage die nötige Glaubhaftigkeit zu geben. Diese Stelle schleift er einfach nach, ölt sie zweimal. Dann passt’s wieder, eine Unebenheit mehr fällt nicht auf. Ja, so muss er sein, ein Tisch, an dem das Leben tobt.
So stellt sich Neuner das zumindest vor. „Da macht man Hausaufgaben, da isst man, da kommen die Leute zusammen. Ein Tisch ist der Mittelpunkt des Lebens“, sagt der Partenkirchner überzeugt. Er bekommt regelmäßig Besuch in seiner Schreinerei. Freunde und Bekannte kommen einfach vorbei, bei Neuner steht die Tür immer offen – und der Tisch immer bereit.
Aus den Bergwelten im Winter 2014.